Internationale Stadt Berlin (1994-1998) – ein Rückblick

Von Joachim Blank
 

Als 1993 Barbara Aselmeier, Armin Haase, Karl Heinz Jeron und ich vor der Einführung des WWW mit dem Projekt Handshake (http://sero.org/ sero/handshake) unsere Internetaktivitäten starteten, kannten nur sehr wenige Menschen das Internet. Es gab außerhalb der Universitäten kaum Zugänge, geschweige denn Kenntnisse im Umgang mit diesem Medium. Was wir als Künstler im Netz wollten, war nur den wenigsten begreiflich zu machen.

Deshalb realisierten wir Handshake, eigentlich ein reines Netzkunst-Projekt, als Installation: Wir verkleideten Monitore und Rechner mit Lochblechplatten, schraubten Tastaturhalter an, verkabelten alles und tingelten mit unserem „Internetcafé“ von Ausstellung zu Ausstellung, immer mit dem Phasenprüfer in der Hand, um eine Internetverbindung zu unserem damaligen Provider und Sponsor (Contributed Software GbR a.D.) aufzubauen. Erst danach waren wir in der Lage, anderen Menschen das Netzprojekt Handshake zu zeigen: Eine Reihe von kleinen Kommunikationsexperimenten in Interaktion mit anderen NutzerInnen aus dem Netz oder BesucherInnen der Installation.

1994 zeichnete es sich ab, daß sich unser Sponsor auflösen würde. Wir standen vor der Wahl, uns einen anderen zu suchen, oder die Internet-Infrastruktur unseres Sponsors zu übernehmen, um auch im technischen Bereich alle Freiheiten zu haben. Wir entschlossen uns, die Infrastruktur in veränderter Form (mit 16 Einwahlleitungen und 300 Usern unter dem Label Internationale Stadt (IS) weiterzuführen.

Schon während der Ausstellungen mit Handshake wurde uns klar, daß sich durch die spezifischen Eigenheiten des Internets ein eigenes künstlerisch/kulturelles Genre entwickeln wird. Die Kunstszene in Berlin zeigte zwar ein vorsichtiges Interesse an unseren Experimenten, aber aufgrund der vielen Unbekannten (mangelndes technisches Know How, Zugangsproblematik, Präsentationsprobleme bei Netzprojekten, prozessuales Arbeiten usw.) blieb uns im Kunstkontext eine Außenseiterrolle vorbehalten.

Projekte wie Clubnetz (öffentliche Terminals in Ostberliner Clubs) konzentrierten sich eher auf den Aufbau von Infrastrukturen. Die Idee war es weniger selbst Inhalte für das Netz zu produzieren, als vielmehr Zugänge zum Internet an öffentlichen Orten zu installieren und anderen Menschen Schnittstellen zum Internet anzubieten, um ihnen die Produktion von Inhalten weitgehend selbst zu überlassen. Zu diesem Zeitpunkt war uns das wichtiger, als weiterhin Projekte wie Handshake und Feldreise (http://sero.org/sero/ feldreise) zwischen Internet- und Kunstkontext weiterzuführen. Uns war klar, daß sich das Internet etablieren und weitergehende soziale-, politische- und medienpolitische Fragen aufwerfen würde.
Von Beginn an planten wir IS als Kontextsystem : Die Idee war es, mithilfe der Stadtmetapher einen Kontext zu entwickeln, der anderen Menschen aus unserem Lebensumfeld die Möglichkeit gibt, das Internet, und hier in erster Linie das WWW effektiver und komfortabler für eigene Zwecke zu nutzen, und es war ein Versuch, innerhalb und außerhalb des Internets, ein kreatives Umfeld für Aktionen im Bereich Kultur und Neue Medien zu entwickeln.

So wie auch die reale Stadt nicht nur ein Ort der Kunst ist, planten wir die Webpräsenz von IS als „intelligente Hülle“, als ein System, in dem unterschiedliche Inhalte nebeneinander existieren und sich sogar gegenseitig ergänzen können.

Die Zusammenarbeit mit Künstlern, die ihre Projekte im Rahmen des IS-Servers präsentierten, basierte nie auf Verträgen oder einem Vertretungsanspruch, sondern ergab sich meist informell. Funktionierten Projekte nicht, oder nicht mehr, dann lag es in der Verantwortung der Autoren/Künstler dafür Sorge zu tragen, oder sich mit der IS in Verbindung zu setzen. Dies führte öfters zu Irritationen bei NutzerInnen, die glaubten, IS als selbstverständlich kostenlosen Dienstleister für ihre Projekte in Anspruch nehmen zu können.

Beim Aufbau des Systems hat es uns gereizt, den Kontext IS zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen und zu gucken was sich im Zusammenspiel von vielen Beteiligten ereignen kann. Was dort passierte, war unmittelbar von der Initiative und der Motivation der EinwohnerInnen abhängig. Wenn neue tools auf dem Server der IS nicht genutzt wurden, war das natürlich schade, aber nicht zu ändern. Das Projekt war von Anfang an als Experiment gedacht. Anders konnten wir daran auch nicht herangehen, da es zu dieser Zeit über das WWW noch keine Nutzungsanalysen gab.

Wir wollten aus der IS nie ein wissenschaftliches Forschungsprojekt machen. Aber das Interesse am Experiment war groß. Gemäß des sich scheinbar selbstorganisierenden Internets verzichteten wir auf Moderationen, Redaktionen und sonstige Filter. Wir empfanden das Internet als eine Art Befreiung im Vergleich zu anderen Medien wie Fernsehen und Radio, wo nur mit hohem Aufwand gesendet werden konnte, ohne das eine gleichberechtigte Kommunikation zwischen Sendern und Empfängern möglich werden konnte. Wir gingen davon aus, daß sich durch das im alten Internet populär gewordene Paradigma des „Gebens und Nehmens“ bei den NutzerInnen und BetreiberInnen mit der Zeit automatisch eine Identifikation mit dem Projekt einstellt.

Wäre da nicht der Entwicklungs- und Gestaltungsdrang der BetreiberInnen gewesen, dann hätte der IS-Server konsequenterweise auch ein Linuxrechner mit unkonfiguriertem WWW-Server, dessen root-Paßwort im Netz verbreitet wird, sein können – so daß alle NutzerInnen das System frei hätten mitgestalten können.

Natürlich gab es auch netzpolitische Implikationen. So war es von uns von Anfang an beabsichtigt, die Preise für Internetzugänge so niedrig wie möglich zu halten. 1995 haben wir bereits für ISDN-Zugänge den „Kampfpreis“ von 29,- DM monatl. ohne Traffic- oder Zeitbeschränkungen für nichtkommerzielle Anwender eingeführt. Mit diesem Selbstkostenpreis verknüpften wir die Forderung nach preiswerten Internetzugängen überall. In dieser Zeit war es praktisch nicht möglich Internetzugänge ohne kleingedruckte Zeit- und Trafficbeschränkungen zu bekommen.

Eine weitere Idee der IS war es, Menschen, Gruppen und Initiativen aus den „soziokulturellen Bereichen“ eine Präsenz im Internet zu erleichtern. Zum damaligen Zeitpunkt, bevor der Internet-Hype durch Fernsehsendungen und Fachzeitschriften flankiert wurde, wußten viele Menschen nicht, wie sie ihre PC’s internetfähig machen können, geschweige denn, wie sie dort eigene Inhalte aufbereitet werden können. Die Folge war, daß die Räume der IS eine Anlaufstelle für wißbegierige Besucher wurden.

Das Websystem wollten wir systemisch „lösen“, indem wir tools entwickelten wie z.B. e-mail, ftp und irc, und ein WWW-Formular als einfachen online-html-editor in die Oberfläche der IS-Website integrierten – so daß jede Person sich ihre eigene Homepage für die IS entwerfen konnte. Dabei ging es natürlich auch um den Spaß der IS-Softwareentwickler - aber es war konzeptionell immer Konsens, ein „Betriebssystem“ für das WWW zu entwickeln. Die Stadtmetapher gab in diesem Zusammenhang eine Reihe von Anregungen für den technischen Bereich, wie z.B. die Trennung von „privaten“ (paßwortgeschützten) und „öffentlichen“ Bereichen oder die Integration von Kommunikationsorten (chat-Möglichkeiten und Diskussionsforen).

Unser teilweise technokratischer Ansatz resultierte vor allem aus den spartanischen Möglichkeiten von HTML1.x und den ersten Browsern, aber auch ganz generell aus der Geschichte des Internets. Das WWW war zu Beginn (und ist ja heute größtenteils auch) ein reines Informationsmedium, daß im Vergleich zu den „alten“ Internetdiensten (e-mail, irc, mud, newsgroups) weniger zum direkten Kommunikationsaustausch geeignet ist. Das störte uns. Durch die cgi-Schnittstelle war es schon damals möglich, selbst geschriebene perl-scripte innerhalb von html zu integrieren, um weitergehende Benutzerinteraktionen mit dem System zu erlauben. Wir verließen damit den Blick von außen auf das Netz und ließen uns gleichzeitig immer mehr auf den Kontext „Internet“ ein. Die Produktion von eigenen Inhalten wich dem eher technokratischen Drang, den Turmbau zu Babel im Netz durchzuführen. So lagen denn auch manche technischen Errungenschaften (z.B. Diskussionstools) brach, weil wir vergaßen, daß viele Nutzer über schmalbandige Modems eine Stunde am Tag im Netz hingen, um ihre e-mail zu erledigen und noch ein bißchen zu surfen, und nicht wie wir den ganzen Tag über eine Standleitung verfügten.

Der 1995 beginnende Boom des Internets ging auch an der IS nicht spurlos vorüber. Wir standen mit dem Projekt im Spannungsfeld sehr unterschiedlicher Anfragen und Interessenten. Ein Computerkonzern stellte uns zunächst kostenlos workstations zur Verfügung; wir wurden auf thematisch sehr unterschiedliche Konferenzen eingeladen: Soziologen befaßten sich mit Themen wie Bürgernetze, Teledemokratie und Stadtentwicklung in der Informationsgesellschaft; Verlagsgesellschaften und die Werbeindustrie entdeckten das Internet. Das Projekt „Internationale Stadt“ tangierte all diese Themenbereiche.

Diese Offenheit hat das Projekt, aber auch die Zusammenarbeit der BetreiberInnen-Crew maßgeblich beeinflußt: Bei einigen BetreiberInnen verdichtete sich schon 1996 das Gefühl einen „Dinosaurier zu verwalten“. Vom Kommunalkino um die Ecke über avancierte Netzkunstprojekte bis zum digitalen Umweltatlas und allem was dazwischen sein kann gaben wir allen ein virtuelles Zuhause. Es gab fast nie eine Auswahl nach strategischen oder qualitativen Gesichtspunkten.

Diese Öffnung der IS in ein generelles „content providing“ brachte ihr wiederum den Ruf eines „Stadtinformationssystems von unten“ ein. Berliner SenatspolitikerInnen wurden auf uns aufmerksam, aber die Angst, einem System den politischen Segen zu geben, bei dem Nutzer frei und unzensiert ihre Inhalte einspeisen konnte, war zu groß - zumindest größer als die Angst der Amsterdamer LokalpolitikerInnen, die Geld und Vertrauen in ‘De Digitale Stadt Amsterdam’ investierten.

Das „Projekt IS“ entwickelte keine eigene Ökonomie. Die Finanzierung der Infrastruktur erfolgte immer über die Durchführung von Internet-Dienstleistungen am freien Markt. Die „Ziel-gruppe“ des „Projekts IS“ war niemals in der Lage und wäre vielleicht auch nicht bereit gewesen, eine intensivere Betreuung zu bezahlen, um das Projekt abzusichern. Zudem sprangen auch Leute mit interessanten Inhalten, nachdem sie vom know how der IS profitiert hatten, wieder ab, um ihren eigenen Server aufzubauen.
Im Rückblick wäre es für uns vielleicht strategisch besser gewesen, die IS auf den Bereich Kunst/ Kultur zu konzentrieren, um damit ihr Profil stärker zu fokussieren und es damit auch Außenstehenden verständlicher darzustellen.

Andererseits war es 1995, in der Blüte des Internet-Hypes, gerade auch der spannende Punkt, an einem Projekt zu arbeiten, ohne ganz genau zu wissen, wo denn die Reise hingehen würde. Letztendlich entsprach diese Offenheit auch mehr der abenteuerlichen Dynamik des Internets als der Berechenbarkeit des traditionellen Kunst- und Kulturbetriebs. In diesem Sinn wurde die Entscheidung, das Experiment kurz und schmerzlos zu beenden, und den IS-Server von der Bildfläche verschwinden zu lassen, von den BetreiberInnen im Konsens getroffen.