In der wissenschaftlichen Diskussion ist es weitgehend unumstritten, dass die fast vollständige Anrechnung eigener Verdienste von Sozialhilfeempfängern auf ihren Hilfeanspruch die legale Erzielung geringer Einkommen finanziell unattraktiv macht. Die gesetzlichen Bestimmungen führen dazu, dass nur geringfügige Beschäftigungen (325 Euro-Jobs), Schwarzarbeit und Nettoverdienste oberhalb des Sozialhilfeniveaus für Sozialhilfeempfänger finanziell attraktiv sind. Geringe monatliche Nettoeinkommen, die sich aus Teilzeitbeschäftigung oder aus gering entlohnter Ganztagstätigkeit ergeben, sind finanziell insbesondere für Haushaltstypen mit Kindern uninteressant.
Die Grundidee des Einstiegsgeldes ist es, ausreichend hohe Anreize für die Sozialhilfeempfänger zur Erzielung eigener Einkünfte zu setzen, so dass es sich für sie mehr als bisher finanziell lohnt zu arbeiten. Die Teilnahme am Modellversuch beruht auf Freiwilligkeit. Das Einstiegsgeld ist grundsätzlich auf eine Zielgruppe beschränkt, die ohne finanziellen Anreiz schwerlich eine Beschäftigung aufnehmen würde: die lanzeitarbeitslosen Sozialhilfeempfänger. Neben den Beschäftigungswirkungen ergeben sich daher auch fiskalische Effekte: Die Kommunen können bei Arbeitsaufnahme Einsparungen durch geringere oder völlig wegfallende Beträge an ergänzender Sozialhilfe erzielen. Ferner ergeben sich bei sozialversicherungs- und steuerpflichtigen Beschäftigungsverhältnissen Sozialabgaben sowie Lohn- beziehungsweise Einkommensteuer.
Am Modellversuch "Einstiegsgeld in Baden-Württemberg" nehmen die baden-württembergischen Stadtkreise Freiburg, Karlsruhe und Mannheim sowie die Landkreise Alb-Donau, Böblingen, Esslingen, Rhein-Neckar, Tübingen und Waldshut teil. Im Februar 1999 hat das Sozialministerium Baden-Württemberg das IAW offiziell beauftragt, den Modellversuch wissenschaftlich zu begleiten. Im Verlauf des Jahres 1999 haben die Modellkreise gemeinsam mit dem IAW die regionalen Voraussetzungen und Besonderheiten geklärt, eigene Konzepte entwickelt, die Grundlagen für eine möglichst aussagefähige Erfolgsmessung geschaffen und schließlich zur Jahreswende 1999/2000 das Einstiegsgeld selbst eingeführt. Der Modellversuch läuft noch bis Ende August 2002. Eine abschließende Bewertung des Modellversuchs - erstmals unter Einsatz von Programm- und Kontrollgruppen in Deutschland - wird im Herbst 2002 vorliegen.
Von Herbst 1999 bis zum 31. März 2001 haben insgesamt 496 Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger mit Hilfe des Einstiegsgeldes eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt aufgenommen. Bezogen auf die Zielgruppe (5.777 Personen, Bestandszahl zum jeweiligen Beginn des Modellversuchs) entspricht dies einem Anteil von fast 9 %. Die Beteiligung in den einzelnen Kreisen war sehr unterschiedlich. Es zeichnet sich ab, dass die Voraussetzungen in den Verwaltungen eine wichtige Rolle spielen.
Das Einstiegsgeld scheint einerseits ein attraktives Fördermodell für Frauen und andererseits für Haushalte mit Kindern zu sein: 77 % der Modellteilnehmer sind Frauen und unter den Haushaltstypen dominieren Haushalte mit Kindern mit über 73 %, wobei allein Erziehende mit 58 % am häufigsten vertreten sind. Es zeichnet sich also ab, dass insbesondere allein erziehende Sozialhilfeempfängerinnen vom Einstiegsgeld profitieren.
Ein qualifizierter Schul- beziehungsweise Berufsausbildungsabschluss ist die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche und dauerhafte Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Bei den allein Erziehenden wird oft vermutet, dass sie höher qualifiziert sind als andere Sozialhilfeempfänger, denn bei ihnen wird die Abhängigkeit von der Sozialhilfe meist mit der schwierigen Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung in Zusammenhang gebracht und nicht mit Qualifikationsdefiziten. Diese Vermutung bestätigt sich bei den allein erziehenden Modellteilnehmerinnen nicht, beziehungsweise nicht uneingeschränkt. Zwar ist der Anteil der Personen ohne Schulabschluss bei den allein Erziehenden geringfügig niedriger als bei der Gesamtgruppe der Modellteilnehmer und die allein Erziehenden verfügen häufiger über einen Hauptschulabschluss sowie über einen Realschulabschluss wie die Gesamtgruppe, bei den höheren Schulabschlüssen schneiden die allein Erziehenden jedoch schlechter ab als die Gesamtheit der Modellteilnehmer. Auch die Berufsabschlüsse bieten kein anderes Bild. Wie bei der Gesamtgruppe der Modellteilnehmer verfügt auch bei den allein erziehenden Modellteilnehmerinnen ca. die Hälfte über keinen beruflichen Ausbildungsabschluss. Bei der Art der Berufsabschlüsse unterscheiden sich die allein Erziehenden ebenfalls kaum von der Gesamtgruppe. An erster Stelle - mit einem Anteil von ca. 77 % - steht die beruflich-betriebliche Ausbildung (d.h. die Lehre).
Es lässt sich also festhalten, dass die allein erziehenden Sozialhilfeempfängerinnen, die mit Hilfe des Einstiegsgeldes eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt aufgenommen haben, gegenüber der Gesamtgruppe keinen Qualifikationsvorsprung aufweisen. Die Vermutung, dass die allein Erziehenden aufgrund höherer Qualifikation bessere Arbeitsmarktchancen haben und aus diesem Grunde häufiger vom Einstiegsgeld profitieren als andere Haushaltstypen, kann deshalb aufgrund der bislang vorliegenden Auswertungen nicht bestätigt werden.
Ob die allein Erziehenden durch das Einstiegsgeld mittelfristig von der Sozialhilfe unabhängig werden können, ist auch davon abhängig, welche Art von Beschäftigungsverhältnissen sie aufgenommen haben. Bei dieser Gruppe liegt es nahe, dass vor allem Teilzeitstellen aufgenommen werden, da Kindererziehung und Berufstätigkeit in Einklang gebracht werden müssen. Diese Vermutung bestätigt sich auch bei der Betrachtung der ersten Ergebnisse der Zwischenbilanz. In den Städten und Landkreisen, die sowohl geringfügige als auch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse fördern, haben über die Hälfte der allein Erziehenden eine Teilzeitbeschäftigung aufgenommen. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und Vollzeitstellen kommen bei den allein Erziehenden seltener vor als in der Gesamtgruppe. Dies lässt sich wie folgt begründen: Durch das Einstiegsgeld zahlt sich die Aufnahme einer Teilzeitstelle für allein Erziehende aus, denn im Status quo macht es für allein Erziehende finanziell kaum einen Unterschied, ob eine geringfügige oder eine Teilzeitstelle aufgenommen wird. Vollzeitstellen, durch die die allein Erziehenden die Sozialhilfe unter Umständen auf Anhieb überwinden könnten, kommen für diesen Personenkreis kaum in Frage. Das Einstiegsgeld bietet hier eine Alternative.
Um die Fragen zu beantworten, ob die allein Erziehenden durch das Einstiegsgeld wieder nachhaltig im Arbeitsmarkt Fuß fassen konnten und ob die allein Erziehenden auch den Ausstieg aus der Sozialhilfe schaffen, müssen jene allein Erziehenden betrachtet werden, die nicht mehr am Einstiegsgeld teilnehmen. Dies sind (a) die Absolventinnen, die ein volles Jahr lang Einstiegsgeld bezogen haben und es sind (b) die allein Erziehenden, die den Modellversuch frühzeitig beendet haben. Was ist mit den allein erziehenden Absolventinnen nach dem Jahr Einstiegsgeld geschehen? Beziehen sie noch Sozialhilfe? Und haben sie ihr Beschäftigungsverhältnis abgebrochen oder arbeiten sie weiter? Ein Drittel der allein erziehenden Absolventinnen bezieht keine Sozialhilfe mehr, davon haben es wiederum fast drei Viertel geschafft, durch eine Steigerung ihres Erwerbseinkommens aus der Sozialhilfe herauszukommen. Von den allein erziehenden Absolventinnen, die noch Sozialhilfe beziehen, sind fast alle auch nach Ablauf des Einstiegsgeldes, das heißt trotz ablaufender Förderung und den damit verbundenen finanziellen Einbußen, weiterhin erwerbstätig. Welches waren nun die Gründe dafür, dass allein Erziehende den Modellversuch vorzeitig beendet haben? 21 % beendeten den Modellversuch deshalb vorzeitig, weil sie aufgrund einer Nettoeinkommenssteigerung nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig waren. 23 % der allein Erziehenden wurde gekündigt; 6 % haben selbst gekündigt. Nur 9 % der allein Erziehenden haben wegen mangelnder Kinderbetreuung aufgehört zu arbeiten.
Frühzeitige Beendigungen des Einstiegsgeldes durch Überschreiten der Sozialhilfeschwelle aufgrund einer Steigerung des Einkommens waren bei den allein Erziehenden wesentlich seltener als in der Gesamtgruppe. Betrachtet man diese erfolgreiche Gruppe für sich allein, so sind die allein Erziehenden darin weit unterrepräsentiert. Allein Erziehende schaffen damit seltener den "schnellen Sprung aus der Sozialhilfe".
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Einstiegsgeld sich als besonders wirksam erwiesen hat, allein erziehende Hilfeempfängerinnen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Ein großer Anteil der allein Erziehenden bezieht nach dem Einstiegsgeld zwar weiterhin Sozialhilfe, die Mehrheit bleibt aber trotzdem in Beschäftigung. Der "schnelle Sprung aus der Sozialhilfe" gelingt den allein Erziehenden seltener als der Gesamtgruppe der Modellteilnehmer. Durch die hohen Sozialhilfeschwellen für allein Erziehende und die Notwendigkeit, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung miteinander in Einklang bringen zu müssen, ist es schwer für sie, schnell die Unabhängigkeit von der Sozialhilfe zu erreichen. Durch die Erwerbstätigkeit gelingt es aber, lang andauernde Arbeitslosigkeit zu vermeiden und den Kontakt zum Arbeitsleben wieder aufzunehmen.
Im Rahmen des Modellversuchs "Einstiegsgeld in Baden-Württemberg" wurde eine Befragung bei der Zielgruppe des Einstiegsgeldes - schwerpunktmäßig bei den allein Erziehenden - durchgeführt. Bei dieser Befragung standen das Bewerbungsverhalten und die Arbeitsmarkthemmnisse im Vordergrund. Weiterhin wurden die Hilfeempfänger zu ihrer Meinung über das Einstiegsgeldmodell befragt. Die folgenden Ergebnisse basieren auf 321 schriftlich befragten allein Erziehenden, von diesen gingen zum Zeitpunkt der Umfrage 213 keiner Erwerbstätigkeit nach. Im Folgenden steht diese Gruppe der nicht erwerbstätigen allein Erziehenden im Vordergrund.
Fast 90 % der nicht erwerbstätigen allein Erziehenden gaben an, sich regelmäßig über Jobangebote zu informieren und dies vor allem durch die Presse, das Arbeitsamt und informelle Quellen, wie zum Beispiel "Mundpropaganda". Internet, Sozialamt und Zeitarbeitsfirmen nehmen eher untergeordnete Rollen als Informationsquellen ein. Ihre Bewerbungschancen stufen die allein erziehenden Hilfeempfängerinnen jedoch eher als schlecht ein.
Bei den Jobhemmnissen nannten die allein Erziehenden an erster Stelle "unflexible oder fehlende Kinderbetreuungsangebote". Fehlende Qualifikation und/oder Deutschkenntnisse war der zweit wichtigste Grund für die Arbeitslosigkeit. Auch fehlende Teilzeitstellen in der Region, gesundheitliche Einschränkungen und hohe Kosten der Kinderbetreuung wurden genannt. Überschuldung und eingeschränkte Mobilität führen den Befragungsergebnissen zufolge ebenso häufig dazu, dass die Hilfeempfängerinnen keine Beschäftigung aufnahmen.
Auf die Frage, ob die allein Erziehenden das Einstiegsgeld für eine sinnvolle Maßnahme halten, antworteten 92 % mit einem "Ja". 5 % hielten das Einstiegsgeld nicht für sinnvoll und 3 % wissen nicht, was sie vom Einstiegsgeld halten sollen.
Dann, Sabine; Kirchmann, Andrea; Spermann, Alexander; Volkert, Jürgen (2002):
Das Einstiegsgeld - eine zielgruppenorientierte negative Einkommensteuer: Konzeption, Umsetzung und eine erste Zwischenbilanz nach 15 Monaten in Baden-Württemberg,
In: Kombi-Einkommen - Ein Weg aus der Sozialhilfe? Veröffentlichung zur gleichnamigen Tagung des IAW am 20./21. September 2001 in Stuttgart; hrsg. von Dann, S.; Kirchmann, A.; Spermann, A.; Volkert, J., im Nomos-Verlag, 2002, Baden-Baden (erscheint demnächst).
Dann, Sabine; Kirchmann, Andrea; Spermann, Alexander (2002):
Kombi-Einkommen - Ein Königsweg für allein Erziehende?
In: Kombi-Einkommen - Ein Weg aus der Sozialhilfe? Veröffentlichung zur gleichnamigen Tagung des IAW am 20./21. September 2001 in Stuttgart; hrsg. von Dann, S.; Kirchmann, A.; Spermann, A.; Volkert, J., im Nomos-Verlag, 2002, Baden-Baden (erscheint demnächst).