Carmen Bosch-Schairer, Kulturmanagerin

Opernhäuser oder Krabbelstuben?
Was müssen und was können Kommunen heute leisten?

Ein Tagungsbericht der gleichnamigen Tagung vom 04. Dezember 2004 in Frankfurt/M.

"Opernhäuser oder Krabbelstuben? Was müssen und was können Kommunen heute leisten?" - unter diesem provokativen Titel veranstaltete die Heinrich-Böll-Stiftung Hessen in Kooperation mit der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. Bonn am 04.12.04 in Frankfurt/Main eine Tagung.

Bernd Wagner, der beiden Organisationen angehört, umriss das Thema, das anschließend mit einem Einführungsvortrag und zwei Übersichtsreferaten sowie auf drei Podien erhellt und diskutiert wurde.

Die Podiumsteilnehmer waren je zur Hälfte im Kultur- bzw. Sozialressort tätige aktive oder ehemalige Mitglieder von Gemeindeverwaltungen und Wissenschaftler aus vielen Teilen der Republik, wenn auch mit einem Hessen-Schwerpunkt.

Die Tagung widmete sich, wie Bernd Wagner erläuterte, einem hochaktuellen Thema kommunaler Politik. Infolge der Geldnot der Kommunen sind besonders die freiwilligen Leistungen im Kultur- und Sozialbereich gefährdet. Das Bemühen um Ausgabenbeschränkung führt häufig zu kurzatmigen, pragmatischen Entscheidungen, ob es um Kürzung oder Wegfall von Leistungen geht, um Schließung oder Konzentration von Einrichtungen oder um Gebühren- und Preiserhöhungen. Wie mit diesen Herausforderungen effizient, kreativ und zukunftsorientiert umzugehen ist, dazu sollte die Tagung Denkanstöße geben.

Hartmut Häußermann, Professor für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität Berlin, skizzierte das Terrain in seinem Vortrag:"Wandel des Städtischen. Aufgaben kommunaler Politik heute".

Ökonomisch werden die Städte zu Beginn des 21.Jh. durch den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft geprägt, mit neuen, auch hochwertigen Arbeitsplätzen einerseits und einer strukturellen Arbeitslosigkeit unqualifizierter Arbeitskräfte andererseits, wovon besonders häufig Zuwanderer betroffen sind. Das Resultat ist nicht zuletzt eine wachsende Einkommensungleichheit.

Die städtische Sozialstruktur ist heterogen durch Multikulturalität und eine Vielzahl von Lebensstilen, eine Entwicklung, die sich fortsetzen wird. So wird in Deutschland um 2020 die Stadtbevölkerung unter 40 Jahren voraussichtlich überwiegend aus Zuwanderern bestehen.

In einer globalen Umwelt stehen auch deutsche Kommunen potentiell in einem weltweiten Wettbewerb. Gleichzeitig schwindet als Folge der Globalisierung die Steuerungsfähigkeit des Nationalstaats auf wirtschaftlichem wie politischen Gebiet, was zu der finanziellen Misere der Kommunen nicht unwesentlich beiträgt.
Wo öffentliches Geld knapp wird, entstehen neuartige Kooperationen. "Public Private Partnerships" finanzieren Investitionen anteilig mit öffentlichem und privatwirtschaftlichem Geld. Das Konzept der "New Urban Governance" finanziert Dienstleistungen mit Hilfe von Partnerschaften zwischen Staat, Kommunen, Bürgern, Drittem Sektor und Privatwirtschaft.

Solche Kooperationen beschneiden die Steuerungsfähigkeit der Kommunen, da sie jetzt nur noch einer von mehreren Partnern sind. Und sie leisten bestimmten Entwicklungen Vorschub. So fließt bei Investitionen gerade in prosperierenden Städten Geld bevorzugt in die sog. Stadtinszenierung, also in das Erscheinungsbild der Innenstädte und in repräsentative Einrichtungen.

Als weicher Standortfaktor im Wettbewerb um Unternehmensansiedlung und qualifizierte Arbeitskräfte trägt die Attraktivität der Stadt auch dazu bei, dass Bewohner aus den Vororten und dem Umland in die Zentren zurückkehren. In Städten wie Hamburg, Frankfurt/Main oder München läßt sich eine neue "Verbürgerlichung" feststellen, die zu Ausgrenzung und Verdrängung der sozial schwächsten Bevölkerung führt.

Eine Spaltung der städtischen Gesellschaft verhindern die für deutsche Kommunalverwaltungen typischen konkurrierenden Wachstums- bzw. Integrationsregime, deren Interessenvertreter sich gleichermaßen unter Beamten wie gewählten Bürgermeistern, Gemeinderäten, Stadtverordneten etc. finden.

Die Wachstumsfraktion besteht aus Eliten, mittelständischen Unternehmern, Developern, Grundbesitzern, betriebswirtschaftlichen Beratern. Sie fördert Investitionen in entwicklungsfähige Viertel. Die Integrationsfraktion besteht aus Wohlfahrtsverbänden, Freien Trägern, sozialen Bewegungen, Bürgerinitiativen und, wo vorhanden, Bezirksverwaltungen. Sie unterstützt die "Orte verwalteter Marginalität", und zwar überwiegend mit Geld von Land, Bund, EU etc.

Diesem dualen Stadtregime ist es im wesentlichen zu verdanken, dass der Interessenausgleich der BürgerInnen trotz der zunehmenden Polarisierung noch einigermaßen gelingt.

Das bleibt nach Hartmut Häußermann auch weiterhin eine der wichtigsten Aufgaben kommunaler Politik. Sozialer Frieden und Sicherheit, die erfolgreiche Steuerung des immer heterogener und komplexer werdenden städtischen Gemeinwesens und die Erhaltung der Stadt als Lebensraum sind die Grundlagen prosperierender Kommunen.
Adalbert Evers, Professor für vergleichende Sozialpolitik an der Universität Gießen, beleuchtete in seinem Referat die Auswirkungen, die der Wandel des Sozialstaates für die Kommunen mit sich bringt.

Vom Transferstaat, der für einen Ausgleich der Einkommen sorgt, entwickelt sich der Sozialstaat zunehmend zum Garanten öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen; Hartz IV ist dafür ein aktuelles, aber keineswegs daseinzige Beispiel.

Das primäre Ziel der Sozialpolitik wird in Zukunft nicht mehr die Versorgung des Einzelnen sein, sondern die Investition in soziale Unternehmen, die ihrerseits betriebswirtschaftlich organisiert sind. Sie werden künftig auch in den Kommunen Ansprechpartner und Dienstleister der BürgerInnen sein. Die Ressourcen der Zivilgesellschaft werden verstärkt genutzt, indem an die Stelle unverbindlicher öffentlicher Mitsprache der Bürger die verbindliche Mitträgerschaft (z.B. in Fördervereinen) tritt. In der Folge wird die gewohnte Hierarchie der Verwaltung ersetzt durch die Bildung von Netzwerken mit kommunikativen Strukturen zwischen sozialen Dienstleistern und BürgerInnen.

An die Referate schlossen sich die Diskussionsrunden an. Dabei kristallisierten sich verschiedene Parteien heraus, die man mit den Schlagworten: Optimierung, Bewahrung des Status quo und Neue Prioritäten beschreiben kann. Eine Optimierung des Mitteleinsatzes mit Hilfe der klassischen Managementmethoden von Analyse, Zielsetzung und Planung und unter Hintanstellung von Ressort- und Besitzstandsdenken oder politischem Kalkül empfahl Bernd Wagner nicht nur finanziell notleidenden Kommunen als Strategie.

Am Anfang, so Wagner, muß eine Analyse der kommunalen Situation stehen, die Altersverteilung, Leistungsfähigkeit, Interessen und Ansprüche der Einwohner erhebt. Auf dieser Grundlage kann die Kommune prioritäre Aufgaben definieren und über ihre Finanzierung entscheiden. Das kann durchaus bedeuten, dass nicht mehr zeitgemäße Einrichtungen oder Dienstleistungen aus dem Katalog freiwilliger kommunaler Angebote verschwinden und neue hinzukommen. Hier werden die Entscheidungen zwischen "Opernhäusern oder Krabbelstuben" gefällt.

Solche Bedarfsanalysen und Entwicklungspläne müssen aber die gesamte Verwaltung einbeziehen, nicht nur einzelne Ressorts, und der Planungshorizont darf nicht nur bis zum nächsten Haushaltsjahr reichen, sondern muss langfristig angelegt sein.

Wie schwierig solche Strategien zu realisieren sind, machte Ann Anders, grüne Stadtverordnete Frankfurt/Main (Mitglied Kultur- und Schulausschuss), deutlich. Sie beschrieb die Frankfurter Kommunalpolitik als reaktives, pragmatisches Handeln nach den Erfordernissen der Kassenlage. Finanzielle Einsparungen müssen in den Ressorts erbracht werden, was dazu führen kann, dass selbst renommierte Einrichtungen wie das Frankfurter Ballett aufgelöst werden - gegen eine breite Protestfront von BürgerInnen und Presse. Wenigstens wird das Ballett als Forsythe Company ab 2005 in Public Private Partnership mit Beteiligung der Städte Frankfurt/Main und Dresden, der jeweiligen Bundesländer und mit Investoren aus der Wirtschaft weitergeführt. Die sinnvolle Alternative, nämlich Verständigung über Prioritäten und Bündelung aller finanziellen Kräfte ist in der Frankfurter Kulturpolitik nicht möglich. Allenfalls Kultur als Stadtmarketing mit der Förderung von "Leuchttürmen" wie der Alten Oper ist konsensfähig. Die Mittel, die dorthin fließen, fehlen dann für experimentelle Kultur wie etwa das Ballett. Frankfurt bietet derzeit ein Negativbeispiel der Optimierung kommunalen Handelns.

Jörg Stüdemann, Stadtrat, mit Erfahrungen in der Kulturpolitik in Dresden und jetzt auch in Dortmund, war wie Bernd Wagner der Meinung, dass durch Verschlankung von Institutionen und Effizienzsteigerung ein Teil der kommunalen Finanznot ausgeglichen werden kann und muss.

Wie dieser kritisierte er die kontraproduktive Neigung, auch im Kulturbereich überkommene Konzepte und Einrichtungen zu verteidigen, ohne deren aktuelle gesellschaftliche Legitimation zu hinterfragen. Andererseits beklagte er die "Refeudalisierung" der Kultur, die zunehmend für die Stadtinszenierung instrumentalisiert wird. Im Extremfall mutiert das Kulturressort zur Marketing-GmbH.

Dabei biete gerade die Kultur das Potential, die technologische Revolution der "zweiten Moderne", vor allem die Informations- und Kommunikationstechnologie und ihre Folgen für Wissenschaft, Arbeit und Freizeit, für die Gesellschaft fruchtbar zu machen.

Im Ruhrgebiet, wo der industrielle Wandel besonders krass war, gibt es zahlreiche Ansatzpunkte für eine kulturelle Neupositionierung der Kommunen und ihrer Bürger: Nutzungskonzepte für große innerstädtische Flächen ehemaliger Zechen und Betriebe, Bildungsangebote, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen, Strategien zur Integration der pluralen Gesellschaft etc.

Kulturpolitik mit optimiertem Mitteleinsatz und zeitgemäßen Zielen, so Stüdemann, kann die gesamte Entwicklung der Kommune positiv zu beeinflussen.
Als engagierte Verfechterin des Status quo bei den freiwilligen kommunalen Leistungen erwies sich Margarethe Goldmann aus Wiesbaden, VHS-Vorsitzende, ehemalige Stadträtin und Sprecherin des AK Stadtkultur. Sie sprach sich für eine wenn auch modifizierte Bewahrung der kommunalen Standards trotz veränderter Rahmenbedingungen aus und für die Beibehaltung von Transferleistungen.

Den AK Stadtkultur in Wiesbaden stellte sie als Gruppierung vor, in der sich Kulturschaffende, Trägervereine und interessierte Bürger zusammengeschlossen haben zur Verteidigung ihrer kulturellen Ansprüche und als Korrektiv der kommunalen Kulturpolitik. Der Arbeitskreis formuliert nicht nur Vorschläge zur (Mit)Gestaltung des Kulturbetriebs, sondern entwickelt wirkungsvolle Strategien zu ihrer Umsetzung, wobei Konflikte mit der Stadtverwaltung und anderen Interessengruppen einkalkuliert werden.

Mit diesem Ziel, die Interessen von Bürgern zum Maßstab der Kommunalpolitik zu machen, greift der AK Stadtkultur den gesellschaftlichen Reformdiskurs der 70er und 80er Jahre auf. Da Geld heute ungleich spärlicher fließt als damals, schlägt er der Kommunalverwaltung folgende Leitlinien vor: Öffentliche Gelder sollen nicht vorrangig in den Vermögenshaushalt investiert, sondern für Dienstleistungen eingesetzt werden. Das geht gegen das Konzept repräsentativer Stadtinszenierungen, wie sie die hessische Hauptstadt Wiesbaden in den letzten Jahren erlebt hat. Kommunale Leistungen sollen nur in dem Maße abgebaut werden, wie ein Ausgleich durch privatwirtschaftliche Leistungen möglich ist. Dies soll kurzfristige Änderungen im Kultur- (und Sozial-)Bereich verhindern und damit mehr Planungssicherheit und nach Möglichkeit eine Bestandsgarantie geben.

Ähnlich argumentiert für den Sozialbereich Michael Burbach, Beratungs- und Verwaltungszentrum e.V. für anerkannte freie Träger der Jugendhilfe und gemeinnützige Vereine sowie deren Kindereinrichtungen im Großraum Frankfurt. Er kennt aus der unmittelbaren Erfahrung die gravierenden Folgen der aktuellen Finanznot der Kommunen speziell bei der Kinderbetreuung, obwohl gerade diese Dienstleistung immer mehr gesellschaftlicher Konsens ist. Wie Bernd Wagner forderte er, Prioritäten zu setzen und durch die Entbürokratisierung der Verwaltung Mittel für Dienstleistungen freizubekommen.

Trotz dieses pragmatischen Ansatzes verhehlte er nicht sein Unbehagen darüber, dass einem historisch beispiellosen privaten und privatwirtschaftlichen Reichtum eine Verarmung der öffentlichen Hand mit allen nachteiligen Folgen für das Gemeinwesen gegenübersteht.

Auch Sophie Graebsch-Wagener, Beigeordnete für Jugend, Soziales und Gesundheit, Bochum, vertrat die Meinung, dass genügend Geld für die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme vorhanden sei bzw. gewesen sei. Nicht übermäßige Ansprüche hätten den Sozialstaat belastet, sondern politisch gewollte Fremdleistungen wie die Wiedervereinigung, die ostdeutschen Rentenansprüche, Sozialpläne bei Firmenkonkursen etc.

Gleichwohl reagierte sie auf die Situation sich verknappender Finanzen und setzt neue Prioritäten in ihrem Ressort. Ziel ist es, die knappen Ressourcen optimal einzusetzen, indem möglichst exakte Bedarfsplanungen erstellt werden, wie im Beitrag von Bernd Wagner angeregt. Zudem bezieht sie ehrenamtliches bürgerliches Engagement systematisch in kommunale Dienstleistungen ein. Diese Tendenz, die Ressourcen der Zivilgesellschaft zu nutzen, hatte Adalbert Evers in seinem Referat formuliert. Bürgernähe ist in Bochum nicht nur Ausdruck eines gesellschaftspolitischen Ideals, sondern vor allem Voraussetzung für Effizienz. Das Gespräch mit den Bürgern bringt konkrete Informationen über den Bedarf an kommunalen Einrichtungen und Organisationen. So werden Fehlinvestitionen vermieden. Am Betrieb und bei der Umsetzung werden die nutznießenden Gruppen aktiv beteiligt, unterstützt von ehrenamtlichen Mitarbeitern. Beispiele sind Jugendzentren, Selbsthilfegruppen, Alten-, Jugend-, Sporthilfe u.a.

Sophie Graebsch-Wagener warnte vor einer Konkurrenz zwischen kommunaler Kultur- und Sozialpolitik um die Finanzierung freiwilliger Leistungen. Beide befänden sich vielmehr in Konkurrenz zur Wirtschaftspolitik. Die Konsequenz könne allenfalls sein, wieder auf eine stärkere Berücksichtigung von Bürgerinteressen in der politischen Willensbildung hinzuarbeiten.

Ein Plädoyer für den Status quo gab es in der Diskussion auch für die Erhaltung des deutschen Kulturmodells, die dezentrale Kulturlandschaft mit ihrer traditionellen Vielfalt an Theatern, Museen, Bibliotheken etc., die durch die Finanzkrise akut bedroht sei. Aus den zahlreichen Feudalstaaten hervorgegangen, vom deutschen Nationalstaat übernommen und in der Demokratie immer wieder angepaßt sei dieses Modell auch bei neuerlich veränderten Rahmenbedingungen in sich selbst ein Kulturgut und daher schützenswert.

Neue Prioritäten werden in der kommunalen Kulturpolitik aus ganz unterschiedlichen Gründen gesetzt. So forderte Wilfried Maier, haushalts- und kulturpolitischer Sprecher der GAL-Fraktion und ehemaliger Senator für Stadtentwicklung Hamburg, dazu auf, die Herausforderungen der Haushaltskürzungen entschlossen anzunehmen und durch neue Ziele, Kooperationen und Qualitätsinitiativen die Kommunen erfolgreich durch die Veränderung zu führen, die der Stadt- und Regionalsoziologie Hartmut Häußermann skizziert hatte.

Als Konsequenz aus der kommunalen Geldknappheit entwickelte seine Partei, die GAL, die Strategie, freiwillige Leistungen im Kulturbereich schwerpunktmäßig in die Zukunftssicherung zu investieren.

Begründet wird das mit dem kreativen Schub, der von Kultur ausgeht, ob in Schule, Ausbildung oder Freizeit. Kreative Menschen sind unverzichtbar für die neuen Dienstleistungsberufe, von denen prosperierende Städte wie Hamburg profitieren. Allein die Kulturwirtschaft in Hamburg mit ihrem überproportional wachsenden Dienstleistungssektor in den neuen Medien, im Verlagswesen, bei Werbeagenturen etc. erwirtschaftet etwa 7% des Gesamtumsatzes. Wilfried Maier zieht daraus den Schluss: Was die Kommune in den Kulturbetrieb investiert, kommt ihr in Zukunft selbst wieder zugute. Hinzu kommt die Anziehungskraft eines repräsentativen Stadtbildes und qualitätvoller Kultureinrichtungen.

Im internationalen Wettbewerb der Kommunen um Unternehmen und qualifizierte Arbeitnehmer kann das Interesse wecken und die Ansiedlung von Wirtschaftsbetrieben mitbeeinflussen, die wiederum das Steueraufkommen der Gemeinde erhöhen. So spricht Wilfried Maier dem gemeinhin kritisch betrachteten Stadtmarketing und den teuren "Leuchttürmen" wie etwa dem "Hamburg Ballett" eine wichtige Funktion in der Zukunftssicherung wachsender Kommunen zu.

Birgit Simon, Dezernentin für Soziales, Umwelt und Verkehr der Stadt Offenbach, machte klar, dass Strategien, die für prosperierende Städte wie Hamburg sinnvoll sein können, für schrumpfende oder notleidende Kommunen mit schwieriger Wirtschafts- und auch Bevölkerungsstruktur nicht gangbar seien.
Es gebe nicht den einen Königsweg aus der Krise, sondern viele unterschiedliche.

Auch in Offenbach wurden neue Prioritäten gesetzt. Die Stadt zeichnet sich durch eine hohe Kinderarmut und einen hohen Anteil an Zuwanderern aus. Infolgedessen konzentriert die Verwaltung ihre freiwilligen Leistungen auf Bildung und Betreuung. Der übrige Kulturbereich wurde bis auf wenige Ausnahmen zurückgefahren. Auch hier sind unter dem Druck der Verhältnisse ähnlich wie in Bochum Effizienz und Prioritätensetzung bereits Wirklichkeit.

Damit hat man in Offenbach einen ähnlich radikalen Weg eingeschlagen, wie ihn Albrecht Göschel, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin, als eine Handlungsoption bei defizitären kommunalen Haushalten vorgestellt hatte. Für eine Neuorientierung der Kulturpolitik stellte er u.a. das angelsächsische Beispiel einer restriktiven Prioritätensetzung vor, das nur noch Schule und Jugendbildung fördert, um jungen Menschen bis zum Verlassen der Ausbildungseinrichtungen Chancengleichheit zu bieten. Jenseits dieses Alters ist Kultur dagegen rein marktwirtschaftlich organisiert. Für die Zukunft sieht Birgit Simon eine Verlagerung bei der Finanzierung von Kultur und Sozialem voraus. Sozialaufgaben werden weiterhin kommunal finanziert bleiben und damit einen substantiellen Teil des Gemeindehaushalts beanspruchen. Zentrale Kultureinrichtungen werden vermutlich von der Region mitgetragen. Wo sich in diesem Szenario Mittel für die lokale Kulturförderung finden werden, bleibt offen.

Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin und ehemals Senator der Grünen in Bremen, formulierte gesellschaftsphilosophische Gedanken zu einem neuen Verhältnis von Staat und BürgerInnen in Zeiten der Globalisierung, neuer Technologien, Migration und sozialer Heterogenität wie sie Hartmut Häussermann beschrieben hatte.

Fücks rückte das Individuum in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, da mehr denn je das Potential gut ausgebildeter, kreativer, selbständiger Menschen entscheidend sei für die individuelle Lebensführung wie für das Gemeinwesen. Auf staatliches, föderales und kommunales Handeln bezogen bedeute dies, nicht länger den Mangel mit immer weniger Mitteln zu verwalten, sondern den BürgerInnen die Fähigkeit und auch die Möglichkeit zu Eigenverantwortlichkeit und selbständiger Entscheidung zu geben. Öffentliche Einrichtungen sollten zu Anbietern von Dienstleistungen werden und nach den Kriterien von Wettbewerb und Kundenorientierung arbeiten.

Ralf Fücks nannte folgende Schwerpunkte für eine neue Kommunalpolitik:
- Umlenkung der staatlichen Transferausgaben
- Definition und Finanzierung produktiver Investitionen
- Subventionierung von Individuen statt von Institutionen, z.B. durchGutscheine für öffentliche Kinderbetreuung, für Schulbesuch, für Kulturveranstaltungen etc.
- Schaffung von experimentellen Freiräumen zur Ausbildung und Nutzung des kreativen Potentials der Bürger durch Stipendien, die Förderung freier Gruppen etc.
- Unterstützung des bürgerlichen Engagements in Form von Stiftungen u.a. durch Steuererleichterungen, aber auch dadurch, daß die Individualität des Stifters respektiert und ihm bei der Ausgestaltung Autonomie zugebilligt wird

Einschränkend wies er darauf hin, daß Wachstums- und Integrationsregime im Sinne Häussermanns auch künftig parallel gehen müssen, um einen Zerfall der Gesellschaft zu verhindern.

Beim Thema der Umlenkung staatlicher Transferausgaben mahnte Adalbert Evers neue Prioritäten auch bei der staatlichen Geldpolitik an. Mit Regelungen wie dem Ehegattensplitting würden gesellschaftliche Auslaufmodelle subventioniert, nämlich Ehen und Familien mit nur einem Haupternährer. Heutzutage wäre es sinnvoller, mit diesem Geld Dienstleistungen für die zunehmende Zahl Alleinerziehender oder Familien mit Kindern, bei denen beide elternteile erwerbstätig sind, vorzuhalten, etwa ein flächendeckendes Angebot bezahlbarer Kinderbetreuungsplätze.

Erste Schritte in diese Richtung, wenn auch noch nicht geldpolitisch, seien immerhin in den Bundesministerien für Bildung und für Familien zu erkennen, die auf die Einführung von Gesamtschulen und Ganztagesbetreuung setzen.

Das Fazit der Tagung mit der suggestiven Fragestellung "Opernhäuser oder Krabbelstuben?" war wie nicht anders zu erwarten vielstimmig. Die Referate von Häussermann und Evers hatten die Hintergründe und weitreichenden Verflechtungen der Umwälzungen vor Augen geführt, die letztlich für die Finanznot der Kommunen hauptursächlich sind.

Kommunen, deren finanzielle Situation besonders prekär ist, wie hier am Beispiel von Bochum und Offenbach dargestellt, haben bei den freiwilligen Leistungen kaum noch Spielräume und konzentrieren sie notgedrungen auf Projekte im Sozialbereich. Interessanterweise sind sie es auch, die radikal modernisieren. Sie entwickeln Konzepte, um ihre (knappen) Mittel durch Optimierung von Abläufen und definierten Zielen effizient einzusetzen, und machen Schritte auf dem von Hartmut Häussermann skizzierten Weg der "New Urban Governance", indem sie neue Partner für Dienstleistungen gewinnen.

Bislang scheinen diese Grundsätze, die für betriebswirtschaftliches Handeln selbstverständlich sind, in der öffentlichen Verwaltung noch immer zögerlich umgesetzt zu werden. Die Situation im Frankfurter Gemeinderat mit seinem Ressortdenken und Taktieren, wie Ann Anders sie schilderte, ist ein extremes, aber sicher nicht das einzige Beispiel. Erst unter existentiellem finanziellen Druck werden die übergreifenden, zielgeleiteten und zukunftsorientierten Lösungen gesucht, die Bernd Wagner auch für Kommunalverwaltungen als Desiderat beschrieben hat.

Bei den Podiumsteilnehmern aus dem Sozialbereich herrschte eine starke Tendenz vor, Betreuungsangebote, Integrationsprojekte, Förderung von Selbsthilfegruppen etc. zu Lasten des Kulturbetriebs auszubauen. Als besonders dringlich wurde die Schaffung von qualifizierter Ganztagesbetreuung für Kinder angesehen. Thomas Röbke, Nürnberg, vom Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement in Bayern, der als Moderator auftrat, und Sophie Graebsch-Wagener begründeten dies mit der Notwendigkeit einer "neuen Kultur des Aufwachsens" in der Gesellschaft. Für Kinder berufstätiger Eltern sei Kindererziehung in öffentlicher Hand die zeitgemäße und praktikable Sozialisationsform.

Ihnen schloß sich Michael Burbach an und forderte vor allem den politischen Willen ein, diese Dienstleistung angemessen zu alimentieren, beispielsweise durch Umschichtung von Subventionen wie Ehegattensplitting.

Das Projekt zur Ganztagesbetreuung von Kindern und Jugendlichen zielt in dieselbe Richtung wie die im Gefolge der PISA-Diskussion erhobene Forderung nach (ganztägigen) Gesamtschulen. Damit könnte das Modell einer bildungsorientierten kommunalen Kulturpolitik, wie sie Albrecht Göschel am angelsächsischen Beispiel aufzeigte, in greifbare Nähe rücken.

Margarethe Goldmann, die für die Förderung der Soziokultur eintritt, Ann Anders, die den Bürgerwillen bei kulturellen Entscheidungen gestärkt sehen will und Ralf Fücks, der eine kommunale und damit auch kulturelle Entscheidungsmöglichkeit der BürgerInnen fordert, setzen nach wie vor auf die Existenzsicherung einer autonomen und vielfältigen Kultur in den Kommunen.

In unterschiedlicher Weise instrumentalisiert wird Kultur in den Konzepten von Jörg Stüdemann und Wilfried Maier. Ersterer setzt Kulturkonzepte zur Modernisierung der Gesellschaft ein, letzterer bekennt sich nachdrücklich zur Stadtinszenierung als Marketinginstrument.

Die Tagung "Opernhäuser oder Krabbelstuben? Was müssen und was können Kommunen heute leisten?" hat mit Sicherheit ihr Ziel erreicht, nämlich anhand von Analysen und sehr verschiedenartigen Konzepten und Erfahrungsberichten Austausch und Anregungen zu vermitteln für freiwillige Leistungen der Kommunen in Zeiten knapper Kassen. Nicht zuletzt die vielen kommunalen Funktionsträger aus ganz Deutschland im gut gefüllten Auditorium bewiesen, dass Heinrich-Böll-Stiftung und Kulturpolitische Gesellschaft damit ein lohnendes Thema aufgegriffen haben.

© Carmen Bosch-Schairer
Kulturmanagerin