Hiltrud Breyer

Grüne Frauen- und Geschlechterpolitik- Europa als Leuchtturm

Europa ist zum Leuchtturm der Frauen -und Gleichstellungspolitik auf nationaler Ebene geworden. Die Gleichstellung der Geschlechter gehört zu den Werten und Zielen der Union. Das ist eine große Chance für alle Frauen im "alten" und "neuen" Europa. Für die Bündnisgrünen war Frauenpolitik in einem gemeinsamen Europa immer eine Selbstverständlichkeit.

Die EU-Gleichstellungspolitik beschränkte sich bis 1999 ausschließlich auf den Bereich Beschäftigung. Erst mit dem Amsterdamer Vertrag, der 1999 in Kraft trat, wurde das Gender Mainstreaming-Prinzip verankert. Es macht die Gleichstellung von Frauen und Männern zur Querschnittsaufgabe für alle Politikbereiche. "Gender" meint das soziale Geschlecht, "Mainstream" bezeichnet den gesellschaftlichen Hauptstrom.

 

Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und in der Politik

Die Gleichstellung von Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt ist noch lange nicht erreicht. Zentral bleibt die Forderung nach Vereinbarkeit von Familie bzw. Privatem und Beruf nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen. Im Jahr 2000 waren 72 % der kinderlosen Frauen zwischen 20 und 50 Jahren erwerbstätig gegenüber nur 59% der Frauen mit Kindern unter 6 Jahren. Bei Akademikerinnen liegt die Zahl der Frauen ohne Kinder bei 40 %. Im Unterschied dazu waren 94% der Männer zwischen 20 und 50 Jahren mit Kindern erwerbstätig, im Vergleich zu 89% der Männer ohne Kinder (1).

Das Beispiel Dänemark zeigt: Eine gute flächendeckende Kinderbetreuung geht einher mit einer hohen Frauenerwerbsquote mit steigender Tendenz zur Vollzeittätigkeit. Frauen haben durch Mutterschaft einen deutlichen "Wettbewerbsnachteil" beim Zugang zu und in der Beschäftigung. Diesen gilt es durch positive Maßnahmen, die seit in Kraft treten des Amsterdamer Vertrags ausdrücklich erlaubt sind, auszugleichen.

Auf dem Lissabonner Gipfeltreffen des Europäischen Rates im März 2000 wurde das Ziel festgelegt, die Beschäftigungsquote der Frauen bis 2010 von durchschnittlich 54% auf über 60% anzuheben. Zum Vergleich: Die Beschäftigungsquote von Männern liegt bei 73%. An der Kinderbetreuung wird deutlich, dass wir uns nicht darauf beschränken dürfen, eine höhere Frauenerwerbsquote zu fordern, sondern auch untersuchen müssen, was Frauen von Arbeitsmarkt fernhält. In Belgien, Finnland und Schweden gibt es nationale Pläne zur Gleichstellung am Arbeitsmarkt, die dies untersuchen.

 

Grüne Vorzeige-Richtlinie zur Gleichstellung am Arbeitsplatz

Ein Meilenstein für die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben und damit in der Geschichte der Frauenrechte in Europa wurde letztes Jahr mit der neuen Richtlinie zur Gleichstellung am Arbeitsplatz (sowie Zugang zu Beschäftigung und Ausbildung) gesetzt. Bis 2005 muss die Richtlinie von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Hierbei gilt wie immer, dass die EU-Gesetzgebung lediglich Mindeststandards vorgibt, die Mitgliedstaaten dürfen in ihrer nationalen Gesetzgebung noch weiter gehen.

Erstmals ist mit der neuen Richtlinie (2002/73/EG) der Tatbestand der sexuellen Belästigung definiert und rechtlich festgeschrieben, dass sexuelle Belästigung eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts und als Diskriminierung nach Artikel 13 des Amsterdamer Vertrags zu bekämpfen ist. Nach der Definition reicht es, dass die Würde des Menschen verletzt wird - verbal oder nonverbal.
ArbeitgeberInnen werden mit der neuen Richtlinie aufgefordert, positive Maßnahmen gegen sexuelle Diskriminierung zu ergreifen. Damit sind positive Maßnahmen nicht mehr die Ausnahme, sondern werden zur Regel, wie von uns Grünen schon lange gefordert. Bei Beschwerde dürfen die ArbeitnehmerInnen nicht entlassen werden. Die Beweislast wurde zulasten der ArbeitgeberInnen umgekehrt. Opfer und ZeugInnen werden geschützt. An dieser Stelle sind auch und besonders die Kommunen angehalten, Pläne zu erstellen wie sexueller Belästigung entgegengewirkt werden kann und positive Maßnahmen ergriffen werden können.
Auch der Schutz von Eltern - Männern und Frauen - am Arbeitsplatz wurde gestärkt. Sie haben nach der Elternzeit Anspruch auf den gleichen Arbeitsplatz.
Die Mitgliedstaaten müssen unabhängige Gremien (Gleichstellungsstellen) schaffen, die die Umsetzung der Richtlinie überwachen. Sie könnten eventuell auch als Schlichtungsstelle fungieren.
Vorgesehen ist außerdem, dass ein entsprechendes Gremium anstelle der Opfer klagt. Durch die Umstellung von der individuellen auf die kollektive Klagen wird die Schwelle zu klagen für die Betroffenen gesenkt. Diese Möglichkeit von Kollektivklagen bedeutet hierzulande ein Novum, da es in Deutschland bisher kein Verbandsklagerecht gibt.
Sanktionsmaßnahmen für ArbeitgeberInnen sollen ausdrücklich abschreckenden Charakter haben. Sie dürfen nach der Richtlinie nicht an eine Höchstgrenze gebunden sein, so dass ArbeitgeberInnen sich nicht "freikaufen" können.

 

Anti-Diskriminierung außerhalb des Erwerbslebens

Die Gleichstellung am Arbeitsplatz ist nur ein Teil des Puzzles der Gleichstellung von Mann und Frau in der Gesellschaft. Mit dem Amsterdamer Vertrag verpflichtete sich die Europäische Union zum Gender Mainstreaming.
Es gilt mit einer neuen Anti-Diskriminierungs-Richtlinie all jene Diskriminierungen abzubauen, an die sich alle gewöhnt haben und die nur deshalb hingenommen werden. Die Kommission muss eine Richtlinie auf den Weg bringen, die die Gleichstellung der Geschlechter in allen Lebensbereichen durchsetzt.
Leider ist die Kommission mit dem neuen Richtlinienentwurf [KOM(2003)657] weit hinter den Erwartungen zurück geblieben. Die Bereiche Bildung und Medien sind aus dem Entwurf rausgenommen worden. Im Bereich Bildung hätte das etwa bedeutet, dass beispielsweise Jungen-Gymnasien mit technisch-mathematischem Schwerpunkt und Mädchen-Gymnasien mit hauswirtschaftlichem Schwerpunkt für beide Geschlechter offen sein müssten. Nun stehen hauptsächlich die Unisex-Tarife im Vordergrund. Von Seiten der Politik wird immer mehr private Vorsorge erwartet, insbesondere bei der Rente. Stillschweigend werden gleichzeitig massive Diskriminierungen von Frauen bei den privaten Renten- und Krankenversicherungen hingenommen. Es ist ein Unding, dass Frauen mehr zahlen und weniger Rente bekommen. Der Unterschied im Rentenniveau beträgt nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bei gleichem Prämienaufkommen zwischen 9 und 12 %. Auch Männer werden aus Gründen des Geschlechts diskriminiert. Bei den Autoversicherungen zahlen sie mehr. Obwohl es auch umsichtig fahrende Männer gibt, zahlen sie per se deutlich mehr, nur weil sie Männer sind. Unisex-Tarife sollten wie in Frankreich und Schweden eine Selbstverständlichkeit sein.

 

Gender Budgeting - öffentliche Haushalte gerecht verteilen

Von der EU-Ebene bis zur Lokalebene gilt: Politiker und Politikerinnen ohne Geld sind nur Dichter! Daher ist die Anwendung des Gender Maintreaming-Prinzips in der Haushaltspolitik besonders spannend. Beim Gender Budgeting geht es darum, alle öffentlichen Ausgaben auf ihre Konsequenzen für beide Geschlechter zu untersuchen. Ziel ist eine gerechte Verteilung öffentlicher Gelder an Männer und Frauen. Schließlich sollen die öffentlichen Ausgaben der ganzen Gesellschaft, also Männern und Frauen, dienen. Bei der Überprüfung der Haushalte im Sinne des Gender Budgeting wird deutlich, ob bei Männern oder Frauen die Prioritäten liegen.

Von besonderer Bedeutung ist die Verankerung des Gender Mainstreaming-Prinzips in den Strukturfonds. Wir haben durchgesetzt, dass in der Programmperiode 2000-2006 jedes Projekt daraufhin überprüft werden soll, ob es Männer und Frauen in gleichem Maße fördert. Unter den Tisch gefallen ist dafür das Förderprogramm "NOW" (New Opportunities for Women) speziell für Frauen. Der Löwenanteil der Strukturfonds wird jetzt zwar endlich nach Gender-Aspekten verteilt, aber zugleich trat ein, was bei der Einführung des Mainstreaming beschlossen wurde: das Förderprogramm speziell für Frauen lief aus. Umso dringlicher ist es deshalb, Indikatoren, Zielvorlagen und auch Überwachungsmechanismen für Genderaspekte in den Haushalten zu entwickeln und anzuwenden, die eine geschlechter-gerechte Verteilung der Gelder garantieren. Grade in den Kommunen gilt es, die Haushaltsverteilung auf Gender Mainstreaming-Prinzipien und Frauenförderung zu überprüfen. Beispielsweise kommt es berufstätigen Frauen zu Gute, wenn die Kinderbetreuung auch mit kommunalen, öffentlichen Leistungen ermöglicht wird.

Für die Grünen war und ist die Durchsetzung des Gender Mainstreaming-Prinzips ein großes Ziel, allerdings darf dabei die spezielle Frauenförderung nicht unter den Tisch fallen. Es gibt noch immer genügend Bereiche, in denen grade die Frauen einer speziellen Förderung bedürfen.

 

Gewalt gegen Frauen

Das Ausmaß der Gewalttaten an Frauen, einschließlich der Prostitution und des Frauenhandels, wird immer offensichtlicher. Dies ist ein zentrales Problem in allen EU-Beitrittsstaaten. Gewalt gegen Frauen ist eine Missachtung der Menschenrechte.

Auch häusliche Gewalt ist ein großes Problem. Nach Einschätzung der Europäischen Kommission ist sie vor allem in den Beitrittsstaaten Estland, Rumänien und der Slowakei besonders hoch. In der Slowakei beispielsweise verfünffachte sich im Zuge des gesellschaftlichen Umbruchs seit 1990 die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt gegen Frauen.

Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament haben sich für eine deutliche Erhöhung des Daphne-Etats eingesetzt. In der Programmphase 1999-2003 konnte mit einem Budget von 20. Mio. Euro nur 12% der Projekte, die sich für die Förderung durch das Daphne Programm beworben hatte, angenommen werden. Mit dem jetzigen Budget von 41 Mio. Euro sollen nun voraussichtlich 30% der sich bewerbenden Projekte gefördert werden. Das Daphne-Programm dient der Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen. Hier sind auch die Kommunen und lokale Initiativen gefragt. Nach dem Daphne-Plan ist jede Kommune berechtigt für entsprechende Projekte und Programme Finanzierungshilfen zu beantragen. So kann lokalen Einrichtungen geholfen werden, insbesondere in Grenzgebieten.

Die Europäische Union ist zum Leuchtfeuer für die Gleichstellungspolitik der Frau geworden. Sie war bei der Durchsetzung von Frauenrechten weit fortschrittlicher als so manche nationale Regierung, davon profitieren auch die Kommunen.

Anmerkung

1) Zahlen für die elf Mitgliedstaaten, für die Daten verfügbar waren; alle Zahlen zur Beschäftigung von Frauen siehe: Europäische Kommission: Sozialagenda 07/2002, S. 9.

 

Die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer ist zuständig für Umwelt, Verbraucherschutz, Energie, Gesundheit und Frauenpolitik. In ihren regelmäßig erscheinenden Newslettern (EU-ÖkoNews, EU-VerbraucherInfo und EU-FrauenNews) berichtet sie über Ihre Arbeit in Brüssel und Straßburg. Diese können unentgeltlich per Email (hbreyer@europarl.eu.int) bestellt werden. Weitere Informationen auch auf der Homepage www.hiltrud-breyer.de. Dort finden Sie auch einen Wegweiser zu bestehenden EU-Fördermöglichkeiten, insbesondere zum Thema Frauen.