Von der Kulturpolitik zu den Abschmelzraten

von Renate Chotjewitz-Häfner

 

Im traditionell sozialdemokratischen Hessen, das immer noch eines der reichsten Länder der Bundesrepublik ist, war Kulturpolitik von Anfang an nie ein zentrales Politikthema, vielmehr ein "vernachlässigtes Politikfeld" , ganz im Gegensatz zur heimlichen Kulturhauptstadt, der freien Stadt Frankfurt samt ihrem prall gefüllten Goldsäckel, wie der Regierungssitz Wiesbaden im dicht besiedelten Rhein-Main-Kessel ("Ballungsraum") gelegen.

Hier nämlich saß über Jahre mit wechselnden Rathausmehrheiten ein Sozialdemokrat, der kulturpolitische Chefdenker Hilmar Hoffmann als Kulturdezernent im Sattel, von Frankfurt aus strahlte in den siebziger Jahren der Impuls eines veränderten und erweiterten Kulturbegriffes weit in die alte Bundesrepublik. Alltagsleben, Alltagskultur, Selbstverwirklichung, Geschichtsarbeit, Kultur als Freizeitfaktor, schließlich "Kultur als weicher Standortfaktor" sind Stichworte dieser Veränderung. Am Mainufer und am Römer glänzten prächtige neue Museen, im Sommer gab es Musik im Grüneburgpark, die repräsentative Kultur (und sogar die Frauenkultur!) kam nicht zu kurz, und wohlig wärmte man sich an der Sonne des bundesweit höchsten Kulturetats.

Hilmar der Erste ging 1990, weil man ein Fest verlassen soll, wenn es am schönsten ist. Nach ihm kam Linda Reisch, es erfolgte die deutsche Einigung, es kam der Rückgang der Steuereinnahmen, die Finanzkrise, der Sparzwang, kamen die Arbeitslosigkeit, die Jugend ohne Lehrstellen, die Schere zwischen arm und reich, und die Zahl der Flüchtlinge und der Sozialhilfeempfänger nahm zu. (1997 über 1.000 Konkurse in Frankfurt!) Es war die Zeit der rotgrünen Koalition. Die Freien Kulturinitiativen, kurz die Soziokultur (darunter der Schriftstellerverband, wo gehört er denn hin ?) erkämpften sich zu Beginn der neunziger Jahre, in der beginnenden Rezession, eine kurze Subventions - Blütezeit: An der Spitze die Freien Theater, der Mousonturm, dazu das lesbisch-schwule Kulturhaus, die Romanfabrik. Heute - faktisch wird die Stadt von einer schwarz-roten Koalition regiert - kämpfen sie alle wieder ums Überleben. Die große Spardiskussion erdrückt förmlich eine Diskussion über Kulturpolitik, über Kunst- und Künstlerförderung. Wo und wie kann gespart werden, heißt die Devise, und nicht, was für eine Kultur und Kunst wollen wir vorrangig fördern?

Wie wir wissen, wird der Hobel, kaum kommt der Geldfluß zum Stocken, zuerst bei der Kultur angesetzt. In der Politik zählt sie in Krisenzeiten zum Überflüssigen. Die permanente Krise der öffentlichen Haushalte wird kaum als gestalterische Chance begriffen. Die Kulturdezernentin Reisch (inzwischen weitgehend entmachtet) sieht die Zeit der knapperen Finanzmittel auch als Veränderungsspielraum, als Chance, verkrustete Verwaltungsstrukturen zu ändern, und in der Relation der Kunst mehr zufließen zu lassen. "Der Frust liegt mehr in der ungeheuren Schwerfälligkeit der politischen Umsetzung, der Unbeweglichkeit der Politik insgesamt, teilweise der völligen Mißachtung von Solidarität gegenüber Kunst und Kultur, das sie mehr als lästiges Beiboot empfinden, denn als eines der Standbeine der Stadt," sagte sie mir bei einem Gespräch, und weiter: "Die Parteien - sämtliche Parteien - können mit Kunst und Kultur nicht frei umgehen." Ann Anders, die Kultursprecherin der Grünen sieht das ähnlich. Bei vielen Abgeordneten habe die Kultur keine Priorität. Anders legt den Akzent anders, nämlich auf die Förderung von Kunstproduktion, Kunst und Künstlern, die außerhalb des "main-stream" schwimmen, weniger auf die traditionelle Hochkultur und die als "Kanon" akzeptierte klassische Moderne.

Wie sieht es auf Landesebene aus? "Der allgemeine kulturpolitische Aufbruch in den bundesdeutschen Städten und Ländern ab Ende der siebziger Jahre fand weitgehend ohne die hessische Landeskulturpolitik statt", vermerkt Bernd Wagner 1992 in einem fundierten Aufsatz und verweist darauf, daß Hessen zusammen mit Nordrhein-Westfalen das Schlußlicht bei den Landesmitteln für Kunst und Kultur bildete. Unter der schwarzgelben Wallmann Regierung mit dem FDP-Kunstminister Gerhardt gab es kleine Fortschritte. Kleine Verbesserungsschritte auch seit den Koalitionen von Bündnis 90 die Grünen und SPD (zuerst 1991). Seit 1995 wird die Künstlerinnenförderung ausdrücklich erwähnt, dazu später. Bei der Bibliotheksförderung, der Filmförderung, dem Ausbau der Musikschulen gab es Verbesserungen, bestehende kulturelle Einrichtungen in der Provinz und soziokulturelle Aktivitäten wurden stärker unterstützt, Neues angeregt: Vom nordhessischen Kultursommer bis zur weltberühmten documenta in Kassel. Vorrangig pflegt man in Wiesbaden jedoch nach wie vor die Schlösser und Gärten, die Landesmuseen, die drei Staatstheater in den ehemaligen Residenzstädten Darmstadt, Wiesbaden und Kassel. Im Übrigen hat die Kultur den geringsten Anteil am Landeshaushalt, er liegt bei 0,3 Prozent, ohne von Sparhaushalt und zweifach verlängerter Haushaltssperre 1997 zu reden. All dies muß im Zusammenhang mit der traditionellen Eigenständigkeit Frankfurts gedacht werden, das seine Einrichtungen nahezu allein finanziert und immer noch ca. 8 % seiner Ausgaben in den Kulturbereich steckt, hier grob gerechnet doppelt soviel investiert, wie die Landesregierung im ganzen Hessenland, was durch einen "Kulturvertrag" geändert werden soll. Das Land ächzt und stöhnt über den Finanzausgleich.

 

Literaturförderung und Sparzwang

Sowohl im Land wie in der Stadt Frankfurt liegen die Aufwendungen für Literaturförderung jeweils unter der Millionengrenze, was auf Landesebene ein zwohundertzwoundsechzigstel Prozent ergäbe, in der Stadt einen Teil von vierhundert. Der Anteil der Literaturförderung am Kulturetat ist mit rund 800.000 Mark im Jahr auch nach Aussage der charmanten Ministerin für Wissenschaft und Kunst Hohmann- Dennhardt "klein und bescheiden." Auf Landesebene wie auch in Frankfurt fließt der Löwenanteil dieser Millionenbruchteile in die Förderung literarischer Institutionen, also die Infrastruktur, wie Mieten und Gehälter. Die Stadt Frankfurt fördert immerhin drei Einrichtungen, die Romanfabrik im Ostend, das Hessische Literaturbüro im Mousonturm (beide wurden 1985 von SchriftstellerInnen aus dem Schriftstellerverband gegründet), schließlich das im Westend gelegene Literaturhaus in Bockenheim, 1990 von einem Bündnis frankfurter Bürger, Verleger, Schriftstellerinnen und Literaturliebhaber erstritten. Inzwischen deckt der Zuschuß der Stadt für das Literaturhaus jedoch nicht einmal mehr die Personalkosten, sodaß die organisatorische Leiterin vollauf mit fund-raising beschäftigt ist - auf der Suche nach Kooperationspartnern für die Finanzierung des literarischen Programms.

Auf Landesebene das gleiche Bild: Bezuschussung des "Hessischen Literaturbüros" und der "Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung" in Darmstadt mit je ca 170.000 DM, dazu gesellen sich die Stiftung Buchkunst und die Gesellschaft für Deutsche Sprache, wobei das Wörtchen "Sitzlandquote" eine Rolle spielt. Erwähnenswert ist daneben die Finanzierung des "Jungen Literaturforums Hessen - Thüringen", das jedoch mit einer Altersbegrenzung auf 25 Jahre die freiberuflichen Schriftsteller wenig betrifft. Neu hinzu kam die Förderung von Leseprojekten (nicht Lesungsprojekten!) in Zusammenarbeit mit Bibliotheken.

Wenn wir unter Literaturförderung auch die Förderung lebender Künstlerinnen und Künstler verstehen, und deren Lebenssituation berü