Wie die Tabelle zeigt, ist eine Reduktion auf die
akzeptable Menge von 10 Milliarden Tonnen CO2 nur möglich, wenn sich
die Pro-Kopf-Emissionen in den Industriestaaten auf ein Sechzehntel verringern.
Betrachtet man die einzelnen Faktoren der "Ehrlich-Formel",
dann ergibt sich - unter der Prämisse, daß die Bevölkerungszahlen
bis zum Jahr 2030 kaum mehr beeinflußbar sind - die Schlußfolgerung,
daß nur eine Kombination aus Effizienz (Optimierung der Technik)
und Suffizienz (Reduktion des Konsumniveaus) diese deutliche Reduktion
der Pro-Kopf-Emissionen erzielen kann. Eine Effizienzrevolution allein
wird dazu kaum in der Lage sein
Diese mathematisierte Darstellung hilft jedoch außer
zur Beschreibung des Ernstes der Lage kaum weiter. Sie führt eher
dazu, daß normative Festlegungen hinsichtlich erlaubten Konsumverhaltens
getroffen werden, die bei den betroffenen KonsumentInnen kaum Akzeptanz
finden werden. Daher empfiehlt es sich, den Begriff der Bedürfnisse
sowie den der natürlichen Grenzen genauer zu betrachten. Dabei ist
klar: die Bestimmung der menschlichen Bedürfnisse ist genauso wie
die Festlegung der natürlichen Grenzen in hohem Maße kulturell
und sozial konstruiert.
Zu den Bedürfnissen:
Die klassische antikapitalistische Betrachtungsweise
geht davon aus, daß die Industrie Bedürfnisse in perfider Weise
mittels Werbung weckt. Der sich selbst und seiner Arbeit entfremdete Mensch
sucht Ersatzbefriedigung und fällt auf die Werbung herein. Der zufriedene,
ausgeglichene und nicht entfremdete Mensch braucht keine Luxusbedürfnisse.
Beck entwickelt diese Sichtweise weiter, indem er unterstellt, daß
die Industrie von den neuartigen technischen Risiken profitiert, da sich
hiermit ein neues unbegrenzte Bedürfnisfeld auftut ("Hunger
kann man stillen, Bedürfnisse befriedigen; Risiken sind ein ´Bedürfnis-Faß
ohne Boden´").
Die traditionelle Ökonomie hingegen kennt den
Begriff der Schaffung neuer Bedürfnisse nicht. Der autonome Konsument
hat potentiell unendlich viele Bedürfnisse und die Industrie kann
ihre Produkte in diesen bestehenden Bedürfnisfeldern plazieren.
Ein Zwischenweg kann die sozial-ökologische
Sichtweise sein: sie verzichtet sowohl auf Bevormundung (die Menschen erkennen
ihre wahren Bedürfnisse gar nicht) als auch auf Beliebigkeit (alles
geht). Es wird der Zusammenhang zwischen Bedürfnissen und Konsum in
den Fokus gerückt. Nicht die Bedürfnisse werden in Frage gestellt,
sondern die Art der Befriedigung. Dabei sind regionale, kulturelle oder
auch geschlechtsspezifische Unterschiede von zentraler Bedeutung - das
Mobilitätsverständnis eines postmodernen Frankfurter Yuppies
ist ein anderes, als beispielsweise das einer Bäuerin aus der Rhön.
Dies wird besonders deutlich am Bedürfnis nach Mobilität. Hier
führt das Öko-Institut im Rahmen der Forschungskooperation ÖKOFORUM
ein Vorhaben für das Bundesforschungsministerium durch, bei dem die
Frage der Entkopplung von Mobilität und Verkehr im Vordergrund steht.
Über sozialempirische Erhebungen werden existierende Mobilitätsleitbilder
in der Bevölkerung bestimmt. In Zusammenarbeit mit den zwei Städten
Schwerin und Freiburg werden diese Mobilitätsleitbilder zur Grundlage
neuer ökologisch vertretbarer Verkehrskonzepte gemacht. Dabei zeigt
sich, daß die Menschen in Schwerin und in Freiburg jeweils sehr unterschiedliche
Bedürfnisse im Hinblick auf Mobilität haben, denen es mit regional
angepaßten Konzepten zu entsprechen gilt.
Zu den natürlichen Grenzen:
Der Grund für das Infragestellen der Art der
Bedürfnisbefriedigung ist, daß damit natürliche Grenzen
überschritten werden. Doch diese scheinbar objektiven Grenzen existieren
so nicht, wie das Beispiel des Treibhauseffektes zeigt. Hier ist die wissenschaftliche
Diskussion am weitesten, der Konsens unter ExpertInnen am fortgeschrittensten.
Und dennoch: die Feststellung, daß die CO2-Emissionen weltweit halbiert
werden müssen, beruht auf der Annahme, daß man einen gewissen
Klimawandel in Kauf nehmen müsse. Dieser soll so langsam vonstatten
gehen (0,1°C in 100 Jahren), daß die Ökosysteme auf der
Erde sich halbwegs schadlos darauf einstellen können. Doch von Region
zu Region sind völlig unterschiedliche Effekte zu erwarten. Zwar werden
negative Wirkungen überwiegen, es wird jedoch auch Gewinner des Klimawandels
geben. Entscheidend ist jedoch, daß die Wirkungen letztendlich nicht
exakt vorhersagbar sind. Rückkopplungseffekte und andere nicht-lineare
Erscheinungen (Bsp. Umkippen des Golfstroms) können angenommene Gewinnerregionen
zu plötzlichen Verlierern machen.
2. Regionalisierung und Nachhaltigkeit
Im Kontext dieser Überlegungen folgt aus meiner
Sicht die nachstehende erste These.
- Nachhaltigkeit ist kein objektivierbares Leitbild;
es kann nur in der Region in der Auseinandersetzung mit den dort lebenden
Menschen, ihren Bedürfnissen und ihrem Anerkennen von Grenzen Gestalt
gewinnen und damit umsetzbar werden
Man muß in den einzelnen Regionen einen Konsens darüber herbeiführen,
welche Nachhaltigkeitsziele für diese Region gelten sollen. Dabei
ist zu berücksichtigen, daß viele dieser Ziele unter unsicheren
Prämissen aufgestellt werden. Bei anderen Zielen ist offensichtlich,
daß negative Effekte nicht in der Region sondern in anderen Erdteilen
verhindert werden sollen. So hilft eine Reduktion der Emission von Klimagasen
um 25 % möglicherweise dabei, daß die Malediven nicht untergehen.
Bezieht man die Ergebnisse der Stoffstromanalysen mit
ein, die das Öko-Institut für eine Vielzahl von Grundstoffen
erstellt hat, so folgt daraus die nächste These:
- Eine vollständige Regionalisierung von Wirtschaftsbeziehungen
ergibt sich nicht zwingend aus diesem Leitbild.
Transporte führen zwar zu beachtlichen Umweltbelastungen, sie stellen
jedoch nicht den Schwerpunkt dar. Entscheidend ist die Reduktion des hohen
Konsumniveaus.
Dazu kommt: Befürworter einer (kleinräumigen) Regionalisierung
sprechen davon, daß es zu einer Rückbesinnung auf alte Tugenden
kommen wird: "die Rennaisance der Nähe, die Entschleunigung,"
schadstofffreie vor Ort gewonnene Nahrungsmittel und zunehmende soziale
Integration. Interessanterweise sind es jeoch gerade Vertreter der Gewinnergruppen
(gutverdienende kosmopolitische Menschen aus dem städtischen Dienstleistungsmilieu),
die die neuen alten Tugenden hochhalten.
Dazu kommt, daß ein Umbau in Richtung Nachhaltigkeit von der derzeitigen
ökonomischen Situation in Deutschland ausgehen muß.
- Regionalisierung im strengen auch ökonomischen
Sinn ist mit der derzeitigen Entwicklung von Politik und Wirtschaft (Stichwort
Globalisierung) schlicht nicht vereinbar.
Die Liberalisierung des Weltmarkts ist - von einigen kritischen US-amerikanischen
Tönen abgesehen - derzeit mainstream. Diese Entwicklung mag man kritisieren
und infragestellen. Will man konkrete Politik machen, so empfiehlt es sich
jedoch, sich an den realen Bedingungen zu orientieren. Die Konsequenz der
Globalisierung ist eine Entwicklung der weltweiten Arbeitsteilung auf einem
höheren Niveau. War die Welt jahrzehnte- wenn nicht jahrhundertelang
eingeteilt in Rohstofflieferanten einerseits und Industriestaaten andererseits,
so differenzieren sich nun die Industriestaaten weiter auf in Billiglohnländer,
in denen mit Standard-Technologie produziert wird, und Hochlohnländer,
die innovative neue Produkte, zumeist in Kombination mit Dienstleistungen
(Systeminnovationen), anbieten. Soll der vielzitierte Standort Deutschland
mit seinen sozialen Sicherungssystemen erhalten bleiben, so gilt es, diese
Arbeitsteilung als Ausgangspunkt eines Umbaus anzuerkennen.
Das bedeutet nicht, daß man vor den langfristigen Konsequenzen einer
global wachsenden Wirtschaft die Augen verschließen sollte. Denn
auch wenn kurzfristig kaum eine Alternative zu dieser Entwicklung besteht
- langfristig ist sie angesichts der zunehmenden Überschreitung natürlicher
Grenzen nicht tragfähig.
3. Regionalisierung als Fernziel oder als Nachhaltige
Nische?
Totz dieser grundsätzlichen Bedenken ist eine
Verknüpfung von Regionalentwicklung und Nachhaltigkeit nicht nur vernünftig,
sondern dringend geboten.
Denn wenn man davon ausgeht, daß Umwelt- und
auch Entwicklungsziele ernst(er) genommen werden müssen, geht dies
demokratisch wie oben ausgeführt nur im regionalen Diskurs. In diesem
Zusammenhang ist anzumerken, daß die Aufstellung des Landesentwicklungsplans
in Hessen eine Chance für diesen Diskurs bietet. Die zaghaften Ansätze
in Richtung "sustainable Hessen" der Landesanstalt für Umwelt
und die Landesplanung müssen - trotz unterschiedlicher Ressortzugehörigkeit
- dringend vernetzt und ausgebaut werden.
Aber auch aus ökonomischen Gründen ist
eine Weiterentwicklung nötig. Die Einfügung der hessischen und
deutschen Wirtschaft in die neuen globalen Rahmenbedingungen geht nicht
ohne Verwerfungen vor sich. Das Problem der zwei-Drittel-Gesellschaft ist
aktueller denn je.
Angesichts dieser Situation bietet die Unterstützung
regionaler Entwicklungen (auch und vor allem im ökonomischen Bereich)
die Chance, in Nischen des Weltmarktes Konzepte für ein wirklich zukunftsfähiges
Wirtschaften auszuprobieren und zu entwickeln.
Regionale Nischen:
Gerade den ländlich peripheren Regionen droht
die Gefahr, von der globalisierenden Wirtschaft abgekoppelt zu werden.
Steigende Arbeitslosigkeit und ein Verlust der kulturellen Identität
im Zeitalter der "McDonaldisierung" führen zu zunehmender
Depression.
Dies bedeutet: die Öffentliche Hand muß
ohnehin stützend eingreifen. In dieser Situation bietet es sich an,
die regionale Ökonomie im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung zu
fördern. Der Anspruch kann nicht sein, alle Bedürfnisse vor Ort
zu befriedigen - zurück zur Zeit des Gerstenkaffees sollte es nicht
gehen. Aber warum nicht die bestehenden Stärken ausnützen? Die
Arbeiten in der Rhön zum Essen und Trinken in der Region, die Aktivitäten
in der Solarregion Freiburg oder das Anknüpfen an alten Traditionen
wie etwa die Flachsindustrie in Sachsen zeigen beispielhafte Wege.
Modelle für eine zukünftige Ökonomie
Diese Aktivitäten gilt es zu begleiten, zu bewerten
und weiterzuentwickeln. Hier lassen sich Arbeitsplätze genauso schaffen
wie die kulturelle Identität der Region aufgewertet werden kann. Vor
allem aber ist es den Versuch wert, regional festgelegte Umwelt- und Entwicklungsziele
mit der Art der Bedürfnisbefriedigung der hier lebenden Menschen in
Einklang zu bringen. Wichtig ist jedoch, daß man nicht kurzfristig
versucht, ein Nachhaltigkeits"paradies" zu schaffen, das es in
einer nicht nachhaltigen globalen Ökonomie nicht geben kann.
Und auch wenn sich viele Elemente dieser Nischen-Ökonomie
heute noch nicht "rechnen", so liegt das an den derzeit noch
nicht nachhaltigen ökonomischen Rahmenbedingungen. Aber die geschaffenen
Strukturen werden dann, wenn die ökonomischen Rahmenbedingungen gezwungenermaßen
nachhaltiger gestaltet werden, modellhaft und überlebenfähig
sein.
4. Stellenwert der regionalen Wirtschaftsförderung
in einer sozial-ökologischen Wirtschaftspolitik
Eine sozial-ökologische Wirtschaftspolitik muß
also zweigleisig operieren: sie muß mit dem Strom schwimmen und gleichzeitig
in ausgewählten Nischen ein gegenläufiges Modell entstehen lassen.
Das heißt:
- Der derzeitige ökonomische Strukturwandel muß
sozial und ökologisch begleitet werden. Es gilt auch im High-Tech-Bereich,
nachhaltigere Lösungen anzubieten, die aber nicht notwendigerweise
in und für die Region wirksam werden müssen. So muß beispielsweise
die Entwicklung der Chemie- zu Pharmakonzernen verbunden sein mit einem
kritischen Dialog über die Zukunft des Gesundheitswesens. Das kann
jedoch nicht heißen, daß Hoechst nur noch Medikamente für
das Land Hessen herstellt. Im Verkehrsbereich sollte statt des Transrapids
ein System des Road-Pricing entwickelt werden, das es erlaubt, die Umweltkosten
des Verkehrs zu internalisieren. Auch dabei handelt es sich um ein komplexes
System, das exportiert werden kann. Im Bereich der Produktion wird ein
Kreislaufsystem statt neuartiger Entsorgungstechnologie, im Energiebereich
Solar- statt Fusionsenergie, in der Landwirtschaft schonende Bodenbearbeitung
statt Gentechnik entwickelt.
- Parallel dazu werden in ausgewählten Regionen
weltmarkt-unabhängige Nischen entwickelt. So sollten beispielsweise
Nahrungsmittel, Textilien, Baustoffe und auch Brennstoffe verstärkt
vor Ort gewonnen und genutzt werden. Flachs- und Hanfanbau, Lehmbauten,
Holzschnitzelfeuerungen oder Windkraftwerke sind hier Stichworte. Auch
Urlaub kann in der Nähe Spaß machen. Der damit verbundene Verzicht
auf Weltläufigkeit muß mit der konkreten Erfahrung einer Stärkung
der regionalen Ökonomie verbunden sein.
Sicherlich lassen sich die beiden genannten Schwerpunkte
nicht exakt trennen. Und es ist auch klar, daß ein Großteil
der Wirtschaftspolitik darin besteht, irgendwelche Unternehmen ins Land
bzw. in die Region zu holen, ohne daß sich auch nur irgendwer Gedanken
um die Nachhaltigkeit der damit verbundenen Aktivitäten macht.
Doch gerade wenn die Gestaltungsspielräume schrumpfen,
sind Leitbilder notwendig, um die noch verbleibenden Spielräume gezielt
zu nutzen. Und gerade an diesen Leitbildern und an ihrer Umsetzung wird
die Politikfähigkeit der Parteien und der Politiker gemessen werden.
5. Neue Instrumente der regionalen Förderung
Die Instrumente der regionalen Wirtschaftsförderung
sind hauptsächlich in der Gemeinschaftsaufgabe (GA) Regionale Wirtschaftsförderung
zusammengefaßt. Über diese GA - wie über alle anderen -
wird regelmäßig berichtet (üblicherweise im Sinne von Rahmenplänen
in Bundestagsdrucksachen). Die Literatur dazu ist vielfältig - grundsätzlich
erweckt sie den Eindruck, als ob hier eine gewisse Ratlosigkeit besteht.
In diesem Sinne sollte über neue Instrumente
nachgedacht werden, die neben der Regionalförderung auch die Nachhaltigkeit
unterstützen und die bekannten Mitnahmeeffekte vermeiden. Eine Möglichkeit
besteht darin, statt Subventionen ein regional gestaffeltes Abgabesystem
einzuführen, daß dazu führt, nachhaltiges Verhalten lukrativ
zu gestalten.
So führt ein Distanz-Element in Wasser- oder
Energieabgaben dazu, daß die Nutzung von Umweltmedien in der Region
vergleichsweise kostengünstiger wird, während in den im Weltmarkt
operierenden Zentren die Ressourcen entsprechend teurer werden. Dies würde
jedoch einen Konsens darüber voraussetzen, daß man auf dem Weltmarkt
nicht über billige Sozial- und Umweltstandards sondern im Gegenteil
über öko-effiziente Innovationen Wettbewerbsvorteile erringt.
Mit diesen ersten Gedanken in Richtung neuer Förderinstrumente
möchte ich es für heute bewenden lassen - ich denke die weiteren
Vorträge und Diskussionen des heutigen Tages werden dieser Frage näher
treten.
Vortrag im Rahmen unserer Tagung "Zentral
- regional - vernetzt: Perspektiven nachhaltiger Wirtschaftspolitik in
Hessen" am 14. 9. 1996 in Kassel.
Christoph Ewen ist wissenschaftlicher Koordinator des Öko-Instituts
e.V.
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