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Erwartungen der Städte an den Bund und die Europäische Union

Oliver Mietzsch, Verkehrsreferent, Deutscher Städtetag, Berlin


 

Sehr geehrte Damen und Herren,

die deutschen Städte sehen sich einem zunehmendem Aufkommen des motorisierten Individual- und Güterverkehrs und somit einem immer knapper werdendem Verkehrsraum gegenüber. Dem stehen eine immer angespanntere Finanzsituation und damit einhergehend auch immer geringe Verkehrshaushalte in den Städten entgegen.
Unter diesen Voraussetzungen haben die Kommunen verkehrs- und umweltpolitische Aufgaben zu erfüllen, die ihnen von der Europäischen Union gestellt wurden bzw. in absehbarer Zeit gestellt werden. Dies sind zum Beispiel die Einhaltung von Grenzwerten bei Luft- und Lärmemissionen.
Hier ist eine deutliche Diskrepanz zwischen den Anforderungen an die Städte und deren Handlungsmöglichkeiten erkennbar, die bereits mittelfristig dazu führen könnte, dass entweder den gesetzlichen Anforderungen nicht Genüge getan werden kann oder komplexe Verkehrssysteme und die damit verbunden bestmögliche Mobilität für die Bürgerinnen und Bürger in den Städten nicht mehr zu organisieren sind.
Die Grundlagen zur Sicherung von Mobilität und Verkehrssystemen können nicht die Städte allein legen. Hier sind vielmehr der Bund und die Europäische Union gefordert.

2. Erwartungen an den Bund


Bezüglich des Bundes enthält vor allem der Bundesverkehrswegeplan 2003 einige Punkte, welche die Bestrebungen der Städte bezüglich der Senkung des Kraftfahrzeugverkehrs und der Emissionswerte sowie die Finanzierung für den Erhalt und Ausbau von Verkehrsinfrastruktur nicht genügend unterstützen bzw. sogar unterlaufen.
So ist es aus der Sicht der Städte ein gravierender Fehler, dass bei der Förderung des Schienenwegebaus der globale Haushaltstitel "Knotenentwicklung" nicht weiter aufgeschlüsselt werden soll. Dadurch ist es der Deutschen Bahn AG möglich, den Netzausbau mit Steuermitteln nach eigenem betriebswirtschaftlichem Belieben voranzutreiben und dabei auch die Netzstruktur zu verändern. Das dies nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der Städte liegt, wird daran deutlich, das die DB AG zunehmend Mittelzentren, aber auch Oberzentren mit hohen Umsteigerzahlen (z.B. Frankfurt/ Main und Mannheim) ganz oder zumindest teilweise vom Hochgeschwindigkeitsnetz abkoppelt. Damit wird ein zentraler Vorteil der Bahn, nämlich die direkte Anbindung des breitgefächerten, dezentralen Städtesystems in Deutschland, aufgegeben und damit die bewährten und gewachsenen Strukturen der Raumordnung und Landesplanung unterlaufen.

Darüber hinaus sehen die Städte die einseitige Zuordnung der Regionalisierungsmittel sowie der Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes für Investitionen in die Schienenwegeinfrastruktur zugunsten einer vermeintlich höheren Gewichtung der Schiene kritisch. Eine solche Vorgehensweise ist nicht sachgerecht, da bei Einbeziehung der GVFG-Mittel diese dann analog auch dem kommunalen Straßenbau zugeschlagen werden müssten. Ähnliches gilt hinsichtlich der Einbeziehung der Regionalisierungsmittel. Diese Mittel weisen keine Zweckbindung für Investitionen aus, sondern dienen vorrangig der Bestellung von SPNV - Leistungen. Darüber hinaus erhalten die Länder die Regionalisierungsmittel für die Übertragung einer Bundesaufgabe, d.h. sie sind damit Landesmittel. Es ist daher problematisch, diese Mittel dem Investitionsanteil für die Schiene zuzurechnen, nur um eine vermeintliche Gleichheit der Höhe der Investitionsmittel für Straße und Schiene herzustellen.
Gleichwohl begrüßen die Städte grundsätzlich die angestrebte Gleichbehandlung von Investitionen in die Straßen- und Schienenwegeinfrastruktur.


Ebenso sind die Städte grundsätzlich bereit, einen sinnvollen Subventionsabbau mitzutragen, wie er u. a. von den Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück vorgeschlagen wurde. Wohlgemerkt betreffen die Vorschläge zum Thema "Subventionsabbau im Konsens" einen erheblichen Teil der Finanzierungsgrundlagen des öffentlichen Personennahverkehrs. Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob es sich die Vorschläge auch wirklich auf Subventionen beziehen und nicht auf Finanzierungsregelungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.
Auch hier geht es wiederum im Wesentlichen um die Regionalisierungsmittel sowie um die Mittel nach dem Gemeindefinanzierungsgesetz. Bei beiden handelt es sich nach Ansicht der Städte nicht um Subventionen. Vielmehr handelt es sich um grundgesetzlich gesicherte Finanzierungsregelungen des Bundes.
Im Falle der Regionalisierungsmittel ergibt sich dies vor dem Hintergrund der Bahnstrukturreform aus dem Jahre 1996 (Art. 87 e GG), in deren Folge eine Aufgabenverlagerung für den Bereich des Schienenpersonennahverkehrs vom Bund auf die Länder stattgefunden hat. Die vorgeschlagene Streichung der Mittel geht jedoch nicht mit der Rückverlagerung der Aufgabe einher, was dann eigentlich notwendig wäre. Der bestehende Mehrbelastungsausgleich, den Art 106 a GG festschreibt, wird somit verletzt.
Auch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz betrifft keine Subvention, sondern die Finanzierungsregelung für die Verkehrsinfrastruktur in den Gemeinden auf der Grundlage des Art. 104 a (4) GG. Die vorgeschlagene Rücknahme der GVFG-Mittel träfe insbesondere den kommunalen Schienenverkehr mit U-Bahnen, Stadt- und Straßenbahn. Der Investitionsbedarf auch und gerade im Bereich der kommunalen Schieneninfrastruktur hat jedoch erheblichen Zuwachs und angesichts der dramatischen Situation der kommunalen Haushalte bestünde für die Kommunen auch keine Möglichkeit, die Ausfälle der GVFG-Mittel zu kompensieren.
Die Städte legen daher nahe, diese beiden Vorschläge im Rahmen der Überlegungen zum Subventionsabbau nicht weiter zu verfolgen, da sie die Finanzierungsregelungen im ÖPNV in unakzeptabler Weise zu Lasten der Kommunen (und auch Länder) verschlechtern würden.


Letztlich ist es aus Sicht der Städte unerlässlich, den Bereich Luftverkehr in den Bundesverkehrswegeplan 2003 zu integrieren, denn bei Flugrouten handelt es sich ebenso sehr um Verkehrswege wie bei Straße, Schiene oder Schiff. Der bloße Verweis auf das Luftverkehrskonzept der Bundesregierung ist daher nicht ausreichend.
Darüber hinaus ist es notwendig, im Rahmen der Novellierung des Fluglärmgesetzes die Beteiligung der Städte und Gemeinden an der Festlegung der Flugrouten, die Gleichbehandlung von Militärflughäfen und Zivilflughäfen bei der Absenkung der Grenzwerte für die Schutzzonenfestlegung sowie die Definition von Nachtschutzzonen zu regeln.
Zudem fordern die Städte eine starkes Engagement des Bundes, insbesondere des Bundesministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, in der Initiative "Luftverkehr für Deutschland". Die Städte messen dieser von der Luftverkehrswirtschaft ins Leben gerufenen Initiative große Bedeutung zu, da hierbei das Thema Luftverkehr nicht nur unter ökologischen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland diskutiert wird. Umso bedauerlicher ist die Weigerung der Initiatoren und hier insbesondere der Industrie, den Städten ein Mitspracherecht einzuräumen.

3. Erwartungen an die Europäische Union

 

Auf europäischer Ebene ist die aktuelle Debatte zur Änderung der Richtlinie 1999/62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge auch für die Städte von Brisanz.
Die Kommunen begrüßen prinzipiell den Kommissionsvorschlag, dessen Ziel es ist, die nationalen Systeme der Mauterhebung bzw. Straßennutzungsgebühren anzugleichen, um dadurch die Internalisation bestimmter vom Verkehrs verursachter Kosten zu erleichtern und somit faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den verschiedenen Transportsystemen in der Europäischen Union herzustellen. Insbesondere begrüßen die Städte, dass Mauteinnahmen bzw. das Aufkommen aus Straßennutzungsgebühren nicht ausschließlich für Erhaltungsinvestitionen der Straßeninfrastruktur zu verwenden sind, sondern dem gesamten Verkehrssystem zu Gute kommen sollen. Der Kommissionsvorschlag zur Richtlinienänderung sollte jedoch diese Absicht noch deutlicher zum Ausdruck bringen, in dem es den Mitgliedsstaaten ermöglicht wird, die Einnahmen für die Entwicklung von nachhaltigen Transportmitteln verwenden zu dürfen, wie es im übrigen auch im Weißbuch zur europäischen Verkehrspolitik und in der Nachhaltigkeitsentwicklungsstrategie der EU vorgesehen ist.

Zum Bedauern der Städte sieht der Kommissionsvorschlag über die Erhebung von Infrastrukturbenutzungsgebühren hinaus keine Möglichkeiten vor, die externen Kosten der Verkehrsstaus sowie der von ihnen ausgehenden negativen Auswirkungen auf die Umwelt bei der Ermittlung der Gebühren zugrunde zu legen. Denn ein Ansatz, der die "sozialen Grenzkosten" des Verkehrs, einschließlich der umweltbedingten Kosten einbezieht, würde die Effizienz und Nachhaltigkeit des Verkehrssystems signifikant verbessern.
Diesen Ansatz fordert die Europäische Kommission im übrigen selbst, in ihrem Weißbuch zur europäischen Verkehrspolitik aus dem Jahr 2001.

Die Städte begrüßen jedoch, dass den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit gegeben werden soll, die Gebührensätze nach Fahrzeugtypen, Tageszeit, Stauneigung, Bevölkerungsdichte und ökologischen Gesichtspunkten differenzieren zu können. Die vorgeschlagene Obergrenze von 100 % für die Faktoren Tageszeit und Stauneigung ist allerdings zu eng bemessen, um einen wirklichen Anreiz für die Benutzung alternativer Verkehrsmittel zu schaffen und ist daher nicht kompatibel mit dem Ziel, den Modal Split zugunsten des öffentlichen Verkehrs zu erhöhen.



Der Kommissionsvorschlag sieht weiterhin vor, dass den Belangen besonders sensibler Gebiete bei der Festlegung von Mauthöhe bzw. Infrastrukturnutzungsgebühren besondere Aufmerksamkeit zukommen muss. Hier ist darauf hinzuweisen, dass städtische Gebiete explizit im Kommissionsvorschlag berücksichtigt werden sollten, zumal es an einer Legaldefinition der besonders sensiblen Gebiete im Richtlinienvorschlag fehlt.
Angesichts der besonderen Belastung städtischer Gebiete mit den Folgen von Verkehrsstaus wie zum Beispiel Luftverschmutzung und Verkehrslärm ist es aus Sicht der Städte unerlässlich, das städtische Gebiete im Kommissionsvorschlag explizit berücksichtigt werden

Grundsätzlich müssen lokale und regionale Gebietskörperschaften (also auch die Städte) frei über die Anwendung von Straßenbenutzungsgebühren in ihrem Zuständigkeitsbereich entscheiden können, insbesondere um somit aktiv auf die Vermeidung von Verkehrsstaus und Umweltbelastungen einwirken zu können. Darüber hinaus sind die Kommunen insbesondere im Hinblick auf mögliche Verlagerungswirkungen auf die Straßen in ihrem Verantwortungsbereich, die durch die einseitige Festlegung von benutzungsgebührenpflichtigen Straßen seitens übergeordneter Instanzen entstehen könnten, aktiv in den Entscheidungsprozess einzubinden. Des weiteren sollten die Mitgliedstaaten die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der Kommunen auch bei der Entscheidung über die Verwendung des Gebührenaufkommens berücksichtigen.

Letztlich sollten zur Vermeidung von Verdrängungsverkehren auf das nahgelagerte Straßennetz vom Richtlinienvorschlag der Kommission auch andere Hauptverkehrsstraßen und Parallelstraßen zum transeuropäischen Straßennetz erfasst werden.


4. Fazit

Die zusehends dramatische Finanzsituation sowie die stetig wachsenden Aufgaben der Städte gefährdet die Organisation und Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur bei gleichzeitig steigendem Verkehrsaufkommen und Bedarf an Mobilität der Bürgerinnen und Bürger. Diese "Lücke" zu schließen und gleichzeitig die Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur und Mobilität zu sichern bzw. neue Finanzierungsarten für nachhaltige Verkehre zu schaffen, ist Aufgabe des Bundes und der Europäischen Union.

So hat der Bund eine ausgewogene Investition in den Straßen- und Schienenwegebau zu gewährleisten und dabei insbesondere darauf zu achten, dass Fördermaßnahmen nicht von einzelnen Akteuren dazu genutzt werden können, um Netzstrukturen nach ihrem betriebswirtschaftlichen Kalkül zu verändern. Hier hat der Bund die Pflicht zur Daseinsvorsorge! Des weiteren erwarten die Städte vom Bund die Sicherung der grundgesetzlich verankerten Finanzierungsregelungen für den ÖPNV.

Auf europäischer Ebene begrüßen die Städte prinzipiell die Schaffung eines EU weiten Systems der Infrastrukturbenutzungsgebühren. Insbesondere, wenn
- den Städten die Entscheidung hinsichtlich der Anwendung von Benutzungsgebühren in ihrem Gebiet überlassen wird;
- die Einbeziehung der "sozialen Grenzkosten" des Verkehrs bei der Festlegung der Gebührenhöhe berücksichtigt wird;
- das Gebührenaufkommen auch für nachhaltige Verkehrsmittel verwendet werden kann;
- es den Mitgliedsstaaten möglich ist, die Gebührenhöhe in Abhängigkeit von der Belastung in bestimmten sensiblen Gebieten zu variieren und
- die kommunalen Behörden aktiv in den Entscheidungsprozess einbezogen werden.


Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

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