Politische Websites – Fallstudien

Von Heike Garbe u. Ekkehard Jänicke

 

Unter der Überschrift "Fallstudien" geht es im folgenden nicht um eine Übersicht: "Wer ist im Web und wer nicht? Wer ist dort wie vollständig vertreten?" und ebenso geht es nicht um eine Wertung von Inhalten oder bloßen Designfragen. Vielmehr soll im Mittelpunkt der Betrachtungen die Fragestellung stehen: "Führt die Nutzung des WWW durch Parteien zu neuen Kommunikationsformen oder werden lediglich traditionelle Formen reproduziert?" Es werden also die Fragen systematisiert, die man sich (als Partei oder politische Organisation) zur eigenen Webpräsenz stellen sollte.


Parteien im Web

Seit geraumer Zeit nutzen Parteien das Internet: Weil man eben heute im Internet präsent sein muß. Weil sich dadurch ihre Modernität unterstreichen wollen. Weil Sie es als eigenes und ungefiltertes Medium nutzen können.

Doch auch dies ist nicht die Fragestellung, obschon die Diskussion über den Einsatz des Internets für parteiinterne Kommunikation ebenfalls spannend wäre.

Der Beitrag befaßt sich völlig unsentimental gegenüber der unterschiedlichen Kompetenz für das Medium Web mit der Wirkung des Auftritts der Parteien: Geht es den Parteien nur um einen breiteren bzw. anderen Verteiler von Wahlwerbung? Oder: Werden gehen die Parteien mit den Neuartigen Möglichkeiten des Mediums um?

Um dies zu bewerten werden die Angebote unter 4 Gesichtspunkten betrachtet:

  1. Hierarchische Organisationen im dezentralen Web
    Wie gehen die Parteien mit dem dezentral organisierten Web um? Welche Tendenzen zeigen sich seit dem Aufbruch ins Web organisatorisch und inhaltlich?

  2. Wie verkaufen sich die Parteien?
    Wie gehen die Parteien mit dem Web um, auf der Skala von "Wir haben jetzt auch eine Seite" bis "Wir wissen, was wir im Web tun?"

  3. Vernetzung als Anliegen oder Rubrik?
    Wie stellt sich Vernetzung dar bzw. her?

  4. Nehmen die Parteien das Demokratisierungspotential an?
    Wird die Webpräzenz als Verkündigungsorgan betrieben? Ist die vorhandene Interaktivität hinreichend demokratisch?


Hierarchische Organisationen im dezentralen Web

Den Web-Angeboten der Parteien gingen zumeist dezentrale Initiativen von einzelnen Mitgliedern auf Orts-, regionaler bzw. Landesebene voraus. Beispiel dafür waren das Angebot des Virtuellen Ortsvereins der SPD oder des PDS-Landesverbandes Saarland, die Grünen hatten noch über sehr lange Zeit eine "inoffizielle" Seite auf einem Uni-Server. Die Angebote entwickelten sich daher zunächst dezentral und stürmisch.

Mit dem durch die traditionellen elektronischen Medien stark gepowerten Boom des Internet erkannten auch die Vorstände der Parteien die Bedeutung des Internets. Inzwischen ist bei allen größeren Parteien die Unternehmung Web-Angebot zentralisiert worden.

Eine solche, nicht nur ökonomisch meist sinnvolle Zentralisierung, schon um werbewirksame Domain-Namen zu binden, hätte verschiedene Optionen:

Facetten der Verdrängung sind solche Bezeichnungen wie "offizielles Angebot". An sich sollte doch gelten, daß jedes Mitglied einer (nicht verbotenen) Partei dies "offiziell" ist und somit auch mit vollem Recht eine offizielle Seite für ihre/seine Partei machen kann (zur Hierarchisierung des Hypertextraums allgemein vgl. auch Rilling in diesem Band). Das geht bis dahin, daß ich in Beratungen mit Web-Admins der PDS schon gehört habe: Genosse Sowieso darf gern im Internet seine Seiten ablegen, einen Link in unserem "offiziellen" Angebot bekommt der aber nicht (weil der immer anderer Meinung als der Vorstand ist – Pluralismus ja, steht ja im Statut, aber nicht öffentlich).

Zudem gehen Vorstellungen über die Seriosität des Angebots soweit, daß Vorstände auch über die Linklisten zu weiteren politischen Seiten abstimmen wollen, weil sie befürchten, damit identifiziert zu werden: Links ja, aber nur auf Angebote, die hundertprozentig auf der Linie liegen.


Wie verkaufen sich die Parteien?

Sicher ist eines der Kriterien, nach denen Web-Seiten zu beurteilen wären, die technische Umsetzung, das Layout, die Struktur. Schauen wir danach, so sehen wir sehr schnell, welche der deutschen Parteien sich ein gutes Angebot leisten bzw. leisten können: Das Angebot der Partei der Besserverdienenden stellt die kritische Finanzsituation und die Hoffnungslosigkeit der F.D.P. sehr prägnant zur Schau.

Die Publizität ergänzen oder herstellen

Die dezentrale und daher demokratische Struktur des Internets sollte jedoch an sich gerade die unterschiedliche Finanzstärke ausbalancieren können: die Surfer werden nur durch gute und interessante Angebote gehalten. Und ein solches Angebot kann auch in einer Lösung mit geringem finanziellen Aufwand präsentiert werden. Warum also ist die Wirkung der Web-Angebote proportional zu ihren bisherigen Wahlergebnissen?

Es ist auffallend, daß die "kleineren", d.h. in den traditionellen Medien weniger wahrnehmbaren Parteien versuchen, dies im Internet auszugleichen: So ist die auch ansonsten bekannte Papierlastigkeit des Wahlkampfes kleiner linker Parteien auch ins Internet abgebildet. Viele, viele ansonsten nicht wahrgenommene Pressemitteilungen, Grundsatzpapiere und Erklärungen - und dies möglichst gleich auf der Einstiegsseite gelinkt und mit dem Anspruch "Die SurferInnen sollen möglichst alle Seiten, d.h. alle Informationen lesen".

Ausgehend von ihrer vorhandenen Medienpräsenz gehen es SPD und CDU viel lockerer an. Hier stehen weniger die Fragen "Wer sind wir?" Und "Was wollen wir?" im Vordergrund, sondern die Kommentierung der unabhängigen Mediendarstellung im eigenen Medium.

Souveränität im Umgang mit den Mitteln

Davon bestimmt erscheinen deren Seiten denn auch professioneller und lockerer. Während die PDS im ängstlichen Kästchenlayout daher kommt wirkt die SPD großzügig (in großen farbigen Flächen) und die CDU durch ihre Schwingen statt Buttons lockerer als ihr Generalsekretär je sein kann. Daneben versuchen die 5-Prozent-Parteien, ihre Wähler auch noch krampfhaft über Frames im Angebot zu halten.

Die Eigenart des Internet kennen

Das herkömmliche Schema der Landesverbände, eine sehr rühmliche Ausnahme bildet da das Angebot der Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern des Bündnis90/Grüne, ist: Unser Programm, unser Vorstand, unsere Adressen und die elektronische Eintrittserklärung. Das ist sicher die Kaum-Aktualisierungs-Aufwands-Variante. Und die wird fortgeschrieben durch: die Online-Version unserer Mitgliederzeitung. Eine Methode, die dem Internet kaum angemessen ist: SurferInnen sind zumeist Freaks, und die wollen nicht einmal im Monat, sondern möglichst täglich News vorfinden, sonst bleiben sie weg. Die Alternative ist das Online-Magazin, ein stets top-aktuelles Angebot. Das leisten sich derzeit nur ganz wenige. Klar, das macht zusätzliche Arbeit und geht nicht so nebenbei.

Webpräzenz als Eigenwert

Wieviel Wert auf die Präsenz im Internet gelegt wird, ist erkennbar am Briefpapier, an der Nennung der Adresse in Broschüren und Faltblättern. Das kann jedoch auch bedeuten: Wir sind im Internet, weil man drin sein muß.

Ob einem die Webpräsenz auch darüber hinaus wichtig ist, ob man sich den neuen Herausforderungen und Wirkungen der Informationsgesellschaft bewußt ist, das ist nur erkennbar an der Aktualität z.B. der Terminlisten, der vorhandenen oder fehlenden Lifeberichterstattung von Parteitagen...

Das kann natürlich auch ins andere Extrem fallen, so daß die beschlossene Broschüre nur noch im Internet realisiert wird und der aktuelle Prozentsatz der sich dort nicht Informierenden unterschätzt wird.


Vernetzung als Anliegen oder Rubrik?

Wie steht es aber um die Vernetzung im Internet? Eine Reihe von Angeboten haben Vernetzung ohnehin als inhaltliches oder organisatorisches Anliegen, z.B. die Webseiten von Rainer Rilling.

Doch wie gehen die Parteien mit diesem Demokratie-Potential des Internets um? Oft sind Links nach außen ohnehin nur in Linklisten zu finden, selten werden bei Polemiken auch die Quellen der anderen Parteien und wenn überhaupt dann meist nur die Homepage gelinkt.

Und wo fängt außen an? Oftmals ist außen alles, was die eigene Redaktion nicht verantwortet, andere (untere oder obere) Gliederungen nicht integriert. Beispiel von Integration haben wir im PDS-Ezine durch die Vernetzung der aktuellen und Kommentarseiten anderer PDS-Angebote im Teil "Neuderdings" versucht. Die Fußball-WM-Kommentare des sportpolitischen Sprechers der sächsischen Landtagsfraktion sind ebenfalls durch einfachen Link in das Angebot des Bundesvorstandes integriert worden.

Und zudem wird die eigene Partei auch im Internet nur zentralistisch abgebildet: die Linkliste zum Mittel der Hierarchisierung "offizieller" Angebote mißbraucht.

Interessant ist es dabei zu wissen, daß bei SurferInnen Linklisten hoch im Kurs stehen - eine Beobachtung, die ich über lange Zeit meinen Logfiles entnehme.


Nehmen die Parteien das Demokratisierungspotential an?

Ein anderes Demokratisierungspotential des Internets ist die Interaktivität: die WählerInnen können einfach mit den Parteien in Dialog treten.

Leider finden sich in einigen Parteiangeboten sogenannte "Gästebücher", die durch die Wahl der Benennung meist nur das "schon gut, nun weiter so" oder technische Hinweise zum Angebot erfahren. Seltener schon sind mal politische Anfragen oder Äußerungen. Eine interessante Adaption sind dagegen die schwarzen Bretter, mit denen Autonome und Antifa-Gruppen sich gegenseitig informieren.

Inzwischen oft zu finden sind Foren. Die derzeit dominierenden sind die der Liberalen und der CDU. Das SPD-Forum hat zwar ein schönes Layout, ist aber durch seine technische Realisierung, es werden immer alle Statements geladen und müssen durchscrollt werden, um zum neuesten Artikel vorzudringen (hoffentlich sind es dann nicht mal über Nacht 200!), und die starre Themenvorgabe nervend. Die anderen Foren (auch der Grünen und der PDS) sind dagegen sehr frei in der Themenwahl. Offenbar nicht aufgrund der Partei-Politik, sondern der technischen Qualität ist das Angebot der CDU das meistbesuchte und trägt daher eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über das gesamte politische Spektrum.

Der Vorteil solcher Foren, wie auch von Usenet-Newsgroups und Mailinglisten, besteht darin, daß sie eine intensive Diskussion von Themen ermöglichen. Jedoch diskutieren zumeist die BesucherInnen untereinander. Die ständige Beteiligung von PolitikerInnen (Abgeodneten oder Vorständsmitgliedern), von denen die BürgerInnen dann auch die politische Umsetzung ihrer Ideen oder Kritiken erwarten könnten, ist nirgends zu finden. Mensch hat eher das Gefühl, an einem Argumentationstraining des Parteinachwuchses teilzunehmen.

Zudem ist die Themensetzung in den Foren zumeist auf die Reaktion zu den Themensetzungen der Parteien beschränkt. Die Landtagsfraktion der PDS Sachsen hatte in den letzten Wochen eine Gesetzesvorlage ins Internet gestellt. Die BürgerInnen sollten vor der Einbringungen diskutieren, Änderungsvorschläge unterbreiten. Sicher der Weg in die richtige Richtung – allerdings bislang ohne Erfolg: 0 emails!