Kongreßbericht: DEMOKRATIE AN DER SCHNITTSTELLE. NEUE MEDIEN UND POLITISCHE PERSPEKTIVEN. von Christian Gasche Die Begriffe "Cyberspace", "Internet" und "Mediengesellschaft" waren 1996 in aller Munde. Für die einen sind dies Chiffren einer neuen "Revolution", die positive Effekte für die ganze Gesellschaft bieten. Andere sind skeptisch, ob die elektronische Revolution auf dem Datenhighway mehr Schaden anrichten als Nutzen könnte. Eine differenzierte Auseinandersetzung über die politischen Implikationen dieser neuen Kommunikations- und Kulturtechnik ist in der bundesrepublikanischen Diskussion kaum wahrzunehmen. Auch unter Grünen und ihrem Umfeld wird die medienpolitische Diskussion selten von "innen", auf der Basis von Erfahrung mit den neuen Medien, sondern meistens von "außen", auf der Basis von Schwellenangst, geführt. Den Potentialen der neuen Kommunikationsinstrumente
stehen freilich Risiken gegenüber. Eine Spaltung unserer Gesellschaft
in Nutzereliten und Informationsproletariat und der Herausbildung neuer
Medienkartelle und einer Kommerzialisierung des Netzes oder der Aushöhlung
des Datenschutzes gilt es zu verhindern. Um so wichtiger ist die Diskussion
heute über die Gestaltungsaufgaben und -möglichkeiten der Politik.
Diese Politik, die einerseits diese Risiken abzuwehren und anderseits die
emanzipatorischen Potentiale freizulegen versucht, muß gefordert
werden. Mit dem Kongreß sollte ein Beitrag hierzu geleistet werden.
In zwei Grundsatzreferaten und drei Foren zu den unterschiedlichen Aspekten
der "Cyberdemokratie" sowie einem Abschlußpodium wurden politische
Handlungsalternativen erarbeitet.
a. Auf dem Weg zur Cyberdemokratie?
Rainer Rilling, Bund demokratischer Wissenschaftler, Universität Marburg, hob die besonderen Eigenschaften bzw. die Potentiale des Internet für politische Kommunikation hervor indem er ausführte, daß gerade für kleine politische Organisationen durch die relativ leichte Zugänglichkeit zu lokal verfügbarer Datenverarbeitung die Zugangsschwellen zu Informationen gesenkt werden könne. Dadurch könne auch die verfügbare politische Information potentiell zunehmen. Ebenso sei die Verteilung von Information zu beschleunigen und die Selektivität bei der Nutzung politischer Information zu erhöhen. Das neue Medium provoziere so eine weitreichende Gleichheits- und Demokratievermutung. Rilling mußte dennoch eine ernüchternde Bilanz ziehen: Gerade 0,5 Prozent aller bundesrepublikanischen Sites im Internet hätten politische Inhalte. In den USA läge der Anteil auch nur bei 2 Prozent. Zum Aspekt der Nutzerstruktur politischer Angebote im Netz führte Rilling die Auswertung einer Statistik des Internet-Servers der Amerikanischen Regierung an, die die Vermutung nahelege, daß politische Datenkommunikation innerhalb des Staatsapparates und zwischen Wirtschaft und Politik erfolge, andere gesellschaftliche Teilsysteme demgegenüber nur gering partizipieren würden. Die bisherige Erfahrung politischer Kommunikation im Internet zeige, daß es nicht zu dem erhofften Effekt des "Top down - bottom up" gekommen sei.. Rilling nannte drei Gründe für
die seines Erachtens seit Ende der 80´er Jahre feststellbare Entpolitisierung
des Netzraumes, der hierzulande zwar alle Bereiche verwandele nur aber
eben nicht die Politik. Es werde in der Debatte nicht thematisiert oder
als unpolitisches Problem der Verwaltungsrationalisierung oder als "Bedrohung
des parlamentarischen Modus indirekter Demokratie" verstanden. In den offiziellen
Strategiepapieren der Bundesregierung würden Fragen nach Demokratie
in der Informationsgesellschaft nicht gestellt oder nur karg und reserviert
behandelt. Anders sehe es mit den Positionspapieren auf EU-Ebene aus, in
denen politische Kommunikation nicht nur als Frage des Zugangs bzw. der
Verteilung von Informationen und eines konsultativen Feedbacks verstanden
würde, sondern auch komplizierte Fragen nach der Veränderung
von politischen Entscheidungsprozessen aufgeworfen würden. Allerdings
würden auch hier keine politischen Utopien oder Szenarien einer politischen
Ordnung der künftigen Informationsgesellschaft entwickelt. Konkrete
Handlungsalternativen zur Gestaltung des politischen Systems der Cyberdemokratie
fehlten.
b. Neue Medien und die Gestaltungsaufgaben der Politik Einen ganz anderen Zugang zum Thema wählte Sabine Helmers vom Wissenschaftszentrum Berlin. In einem Vortrag zu fünf Stimmen skizzierte sie die Entwicklung des Internet und unternahm einen pessimistischen Ausblick auf politische Gestaltungsspielräume eines an sich anarchistischen Mediums. Als Beobachterin des Netzes zeichnete sie zunächst ein idyllisches Bild des Internets, als es noch als reines und elitäres Forschungsnetz funktionierte. Die Organisation und Regulierung des Netzes sei konsensual, unbürokratisch und unhierarchisch gewesen. Die Selbstregulierung des Netzes habe durch den alle einende Glauben an Technik und die richtige technische Lösung für jedes Problem funktioniert. Erst das exponentielle Wachstum des Internet in den 90`er Jahren führte zu einem Anstieg der Probleme. Auch die Absicht der Regierungen,
Einfluß auf die Inhalte des Datenhighway auszuüben, seien gescheitert.
Das Erbe der frühen Internetentwickler sei eine dezentral organisierte
Netzstruktur, die zentraler Kontrolle widerstrebe. Das Internet sei gestaltet
worden, um Daten zu transportieren und diese nicht auszusortieren. Das
einzige, was praktisch funktioniere sei, wenn bestimmte nicht erwünschte
Daten dezentral herausgefiltert würden, wie dies mit kindersicheren
Web-Browsern gehe. Ob man dem Internet mit seinen gewachsenen Strukturen
durch politische Maßnahmen eine ordentliche Verwaltung, Kindersicherheit
und Sittlichkeit oder paritätische Mitbestimmung und Wahlen von außen
auferlegen könne, sei ziemlich zweifelhaft, so Helmers.
c. Markt der Möglichkeiten Auf dem Markt der Möglichkeiten
bestand Gelegenheit für politisch arbeitende Gruppen, ihren Internetauftritt
zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Insgesamt nahmen rund
30 Gruppen aus dem Bildungs-, Ökologie- und Polit-Spektrum teil, die
ihre homepages vorstellten und sich untereinander und mit den Teilnehmerinnen
austauschten.
d. Forum 1: Digitale Städte und lokale Öffentlichkeit Nina Meilof und Michael van Eden von De digitale Stad Amsterdam (DDS) stellten online das erste Stadtnetz im Internet vor und erläuterte Aufbau und Angebote. Begonnen wurde das Projekt mit der Idee, lokale Vorgänge und Entscheidungen im Internet zur Diskussion zu stellen und darüber hinaus dem Gedanken einer Kommune folgend, eine virtuelle Gemeinschaft zu begründen. Nach anfänglichen Versuchen, auch politische Prozesse im Stadtnetz zu thematisieren, breiteten sich aber eher spezifische Angebote aus, die kleine Interessengruppen nachfragen. Aus Berlin und der virtuellen, im
Internet aufrufbaren "Internationalen Stadt Berlin" berichtete Armin Haase
und veranschaulichte ebenfalls online das grafische Interface. Der Verein
wurde 1994 gegründet und finanziert sich aus der kommerziellen Arbeit
seiner Mitglieder, die professionelle Internetdienstleistungen anbieten.
e. Forum 2: Interaktive Netze und die Perspektiven der Cyberdemokratie Prof. Dr. Hans-Jürgen Krysmanski, Direktor des Instituts für Soziologie an der Universität Münster, führte in seinem Statement aus, daß die interaktiven Netze gesellschafts- und demokratieteoretisch überhaupt nicht zu begreifen seien, wenn sie nicht als ein postmodernes und spätkapitalistisches Phänomen gesehen würden. Das bedeute, daß sie kein Phänomen betulicher Heimcomputerarbeitsplätze seien, sondern enorme Umwälzungsprozesse bewirken würden. Alle Menschen unterlägen einem Postmodernisierungs- und Amerikanisierungsprozeß, weil das Netz durch und durch amerikanisch programmiert sei und Amerika die Logik des Spätkapitalismus am wirkungsvollsten ausformt und um den Globus trage. Krysmanski sagte, daß sich
die Demokratie im Medium der interaktiven Netze als Kampf der Kulturen
vollziehen werde. Das Internet müsse als ein Instrument "amerikanischer
Welt-Innenpolitik" gesehen werden. Allerdings würde die elektronische
Auseinandersetzung um neue Formen politischer Kultur auf einem Niveau geschehen
können, das durch die vornehmlich in Amerika vollzogene kulturtechnische
Leistung der Internet-Struktur vorgezeichnet sei. Diese Struktur als einen
der Logik des Spätkapitalismus geschuldeten kulturellen Fortschritt
zu akzeptieren, dürfte für spannende Netzaktivitäten sorgen.
f. Forum 3: Jenseits von Rasse, Klasse und Geschlecht? "Virtuelle Gemeinschaften" und postmoderne Kultur Der Magdeburger Philosoph und Medientheoretiker,
Mike Sandbothe, grenzte zunächst sein Thema ein, und beschränkte
sich darauf, die These vom Zusammenhang zwischen virtuellen Gemeinschaften
und postmoderner Kultur anhand der Ambivalenzen auszuarbeiten, die für
virtuelle Gemeinschaften des Internet charakteristisch seien. Lege man
einen einfachen Begriff der Postmoderne zugrunde, könne gesagt werden,
daß die postmoderne Kultur im Internet zu sich selber komme, denn
im Internet würden die medialen Konstruktionsprozesse, die sich beim
Fernsehn hinter dem Rücken der Empfänger vollzögen, nun
zur praktischen Erfahrung für jeden aktiven Nutzer des Mediums.
g. Podiumsdiskussion: Politische Perspektiven der digitalen Revolution Zu Beginn bemängelte Jörg Tauss, MdB und für die SPD Mitglied in der Bundestags-Enquettekommission "Zukunft der Medien", an der gegenwärtigen Diskussion um das neue Telekommunikationsgesetz (TKG), das die ökonomischen Interessen am Internet im Vordergrund stünden und gesellschaftspolitische Aspekte in den Hintergrund gedrängt würden. Dr. Manuel Kiper, MdB für Bündnis 90 / Die Grünen, kritisierte die unklare Haltung der SPD, die er gespalten sieht in eine Fraktion, die die ökonomischen Verwertungsinteressen der Industrie fördern wollen und einer Gruppe, die die Grundversorgung der Bevölkerung mit Zugang zu den neuen Medien sicherstellen wolle. Kiper forderte, daß die Datenautobahn nicht mehr länger nur einer Wissenselite vorbehalten bleiben dürfe, sondern die Informationsgrundversorgung durch den Staat sicherzustellen sei. Darüber hinaus forderte er für die neuen Medien und deren Nutzung eine Sicherheitsarchitektur, die den staatlichen Zugriff auf die Privatsphäre der Bevölkerung verhindern müsse. Gerade angesichts der Diskussion um ein Kryptografiegesetz müsse sicher sein, daß der Datenschutz nicht ausgehöhlt werde und dadurch den Geheimdiensten durch die Hintertür Eintritt in den Überwachungsstaat ermöglicht würde. Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club sah die Notwendigkeit zur Entwicklung eines Leitbildes der Informationsgesellschaft und forderte ein Menschenrecht auf Informationsfreiheit. Es sei wichtig, eine informationelle Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen zu sichern und dazu "Datenbürgersteige und öffentliche Räume im Netz" staatlich zu garantieren. Elisabeth Binder, Betreuerin vom Pheminist CyberRoadShow, Wien, kritisierte, daß über jede Pornogeschichte im Netz auf Seite 1 der Boulevardpresse berichtet würde, aber über die Entwicklungen zur Privatisierung von Informationen keine Berichterstattung in den klassischen Medien stattfände. Sie berichtete in diesem Zusammenhang von einer internationalen diplomatischen Konferenz in Genf, auf der die Fragen nach Copyrights im Netz verhandelt würden. Dort zeichne sich ab, daß der Schutz für die ökonomische Verwertung über den Schutz des geistigen Eigentums durch internationale Abkommen gestellt werden könne. Die Teilnehmerinnen waren sich mit dem Podium einig, daß für die Grundversorgung der Bevölkerung mit Informationen und der allgemeinen Zugänglichkeit zum Datenhighway eine breite politische Debatte notwendig sei, und dabei auch Fragen der Vermittlung von Mediennutzungskompetenz in Schulen und Universitäten geregelt werden müßten. Ähnlich wie durch Gesetze in den USA, sollten kommerzielle Netzbetreiber für Schulen, Biblotheken und öffentliche Einrichtungen kostenlose Zugänge für die Bevölkerung einrichten. Eine Tagungsdokumentation ist in Vorbereitung. |