Die Gründung der Hartz-Kommission und ihr Auftrag, die Vermittlung zu beschleunigen sowie die Ablauforganisation der Arbeitsämter zu verbessern, ist Ausdruck des Herangehens, der Arbeitsmarktpolitik und letztlich den Arbeitsämtern die Arbeitslosigkeit anzulasten. Das lenkt vom eigentlichen Problem dem weitgehenden Verzicht auf Beschäftigungspolitik - ab.
Die Einsetzung der Kommission scheint nicht primär der Realisierung
ihres Arbeitsauftrages gedient zu haben, sondern entpuppte sich kurzfristig
als Instrument
-Testballons für die Regierung steigen zu lassen,
-unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen einzubinden und
-den Wahlkampf zu beflügeln.
Auf mittlere Sicht haben die Vorschläge der Hartz-Kommission allerdings wesentlich weitreichendere Konsequenzen.
Dabei ist das proklamierte Ziel dass weit über den Auftrag des Kanzleramtes hinaus schoss -, innerhalb von drei Jahren die registrierte Arbeitslosigkeit zu halbieren, grundsätzlich nicht zu beanstanden; schließlich verbirgt sich hinter dieser Proklamation die Erkenntnis, dass die Entwicklung der Arbeitslosigkeit durch politische Maßnahmen beeinflussbar und ihre Reduzierung wünschenswert ist.
Allerdings war schon bei der Präsentation des Kommissionsberichtes offensichtlich, dass dieses Ziel mit den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht zu realisieren sein wird. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die anwachsende Arbeitslosigkeit, den alten Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik angelastet werden soll.
Vergegenwärtigt man sich die zentralen Instrumente, die die Kommission
präsentierte, dann wird offensichtlich, dass ganz andere Ziele verfolgt
werden, nämlich eine weitere
Flexibilisierung des Arbeitsmarktes,
die Ausweitung des Niedriglohnsektors mittels Zurückdrängung kollektiver
Interessenvertretungsstrukturen und arbeits- und sozialrechtlicher Arbeitnehmerschutzrechte
sowie die Reduzierung von Sozialausgaben.
Beispielhaft lässt sich dies an den Vorschlägen zur Personal-Service-Agentur (PSA), zur Zumutbarkeit und zur Ich-AG illustrieren.
Die Vorschläge schaffen keine zusätzlichen Arbeitsplätze, sondern ersetzen Arbeit, die bisher im Rahmen eines regulären Arbeitsverhältnis erledigt wurden, durch prekäre Tätigkeiten.
Zur Erinnerung: Die Hartz-Kommission hatte in verfassungswidriger Weise vorgesehen, dass Beschäftigte in PSAen für das erste halbe Jahr nur eine Nettoentlohnung in Höhe des Arbeitslosengeldes bekommen sollten. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sollte weitgehend dereguliert werden, z. B. die Höchstüberlassungsdauer von zwei Jahren aufgehoben werden. Dies stand freilich im Widerspruch zum behaupteten Klebeeffekt der Leiharbeit.
Mit der Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen insbesondere den erhöhten Anforderungen an die Mobilität von Arbeitslosen ohne familiäre Bindungen werden ebenfalls keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen, sondern lediglich die Entlohnung gedrückt; durch mehr Repression werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unattraktive Stellen gezwungen, der Arbeitgeber ist der Notwendigkeit enthoben, eine die Mobilität anreizende Entlohnung sicher zu stellen.
Auch im Rahmen der Ich-AG dürften nicht zusätzliche Jobs entstehen. Arbeit, die bisher im Normalarbeitsverhältnis ausgeübt wurde, wird nun ohne Kündigungsschutz, ohne Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates, ohne Arbeitslosenversicherung und Krankenversicherungspflicht und natürlich ohne tarifliche Regelungen verrichtet. Ein gutes Beispiel sind die LKW-Fahrer bei Speditionen, die früher als Angestellte und heutzutage vielfach als Selbstständige tätig sind. Und so etwas wird - nach Hartz - aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit subventioniert.
Die Liste ließe sich nahezu beliebig fortführen. Auch die faktische Subventionierung von Minijobs nichts anderes ist die Ungleichbehandlung hinsichtlich der Abgabenlast gegenüber regulären Tätigkeiten und die faktische Aufhebung des Kündigungsschutzes für ältere Arbeitslose wird nicht zu mehr Arbeitsplätzen führen. Das Ergebnis ist nur weniger Sozialschutz bzw. mehr Rechtlosigkeit.
Die Umsetzung erfolgte anders als vom Bundeskanzler angekündigt nicht 1:1. Betrachtet man die gesamte bisherige Umsetzung, so kann der in vielen Medien dargelegten Einschätzung, von den Hartz-Vorschlägen sei zugunsten der Gewerkschaften abgewichen worden, nicht gefolgt werden:
Richtig ist, dass die Leiharbeit mit einem Gleichbehandlungsgrundsatz versehen wurde. Trotz gravierender Ausnahmen von diesem Grundsatz stellt dies zweifelsohne eine Verbesserung gegenüber den verfassungsrechtlich höchst bedenklichen Überlegungen der Hartz-Kommission zur Entlohnung von Leiharbeitnehmern dar.
Das war es dann aber auch: Während die Hartzkommission sich darauf verständigt hatte, auf kollektive Leistungskürzungen zu verzichten, hat der Gesetzgeber weitgehende Einschnitte in die Arbeitslosenhilfe vorgenommen. Hierdurch soll nach Angaben der Bundesregierung bereits im Jahr 2003 eine Entlastung in Höhe von 2,5 Mrd. € realisiert werden.
Die Hartz-Kommission wollte einen geregelten Bundeszuschuss zur Bundesanstalt für Arbeit, nicht so die Regierungskoalition.
Die Kommission forderte die stärkere Verknüpfung von Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik; auch hierzu sind bisher kaum entsprechende Gesetzesinitiativen zu vermerken.
Ferner schlug die Kommission vor, betriebliche Beschäftigungsbilanzen zu entwickeln; auch hierzu fehlt die gesetzliche Umsetzung.
Fazit: Die Umsetzung der Hartz-Vorschläge als Ausweis des hohen gewerkschaftlichen Einflusses auf die Regierungspolitik anzusehen und den Gewerkschaftsstaat an die Wand zu malen, wäre geradezu lächerlich, wenn es nicht einem politischem Zweck diente.
Die Umsetzung der Hartz-Vorschläge ist noch nicht beendet, da legt die Regierungskoalition nach und erhöht die neoliberale Dosis. Dies kommt in der Agenda 2010 zum Ausdruck: Mit der drastischen Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere, der faktischen Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der Aufweichung des Kündigungsschutzes werden keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen, sondern die Kosten für Entlassungen einseitig auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlagert. Dies unter Missachtung tragender Strukturprinzipien des Sozialstaates, namentlich des Versicherungsprinzips, des Lohnersatzleistungsprinzips und des Prinzips der paritätischen Finanzierung.
Das Konzept der Hartz-Kommission und der Umsetzer scheint offensichtlich. Es geht um die Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen und Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch weniger Arbeitnehmerrechte, weniger soziale Sicherung, weniger kollektive Interessenvertretung und Einsparung von Sozialleistungen. Diesem Konzept liegt eine Wirtschafts- und Finanzpolitik zugrunde, die auf Ausgabeneinsparung setzt und die aktive Rolle des Staates negiert.
Die Alternativen zum Regierungshandeln liegen auf der Hand:
Wir müssen die Debatte darum führen, wie wir in Zukunft arbeiten wollen und welche gesellschaftlichen Gruppen hierzu welchen Beitrag zu erbringen haben. Dabei sollten wir am Ziel der Vollbeschäftigung festhalten: Es ist nun einmal so, dass der Zugang zur Erwerbsarbeit im Kapitalismus notwendig ist, um die Reproduktion des Menschen zu sichern. Dies beginnt beim materiellen Einkommen und reicht über Sozialkontakte bis dahin für sich selbst einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Ich meine nicht, dass man dies alles über eine Umdefinition der Werte unter Beibehaltung der klassischen Produktionsweise realisieren kann.
Dabei geht es mir aber nicht um Arbeit um bzw. zu jedem Preis, sondern es geht um das, was wir schon seit längerem als Vollbeschäftigung neuen Typs bezeichnen. Also für beiderlei Geschlechter, existenzsichernd und gesellschaftlich notwendig.
Für die Arbeitsmarktpolitik heißt dies, dass sie nicht nur Vermittlung
beschleunigt,
sondern auch
- unterwertige Beschäftigung vermeidet,
- Arbeitsumverteilung fördert (z. B. Neuwied: Ersatz von Überstunden
durch befristet Beschäftigte, die zuvor arbeitslos waren; Beschäftigungstarifvertrag
Metall Niedersachsen: Absenkung der Arbeitszeit Mehrerer zugunsten der Einstellung
von Arbeitslosen bei Zuschuss für die Einkommensverluste durch die
Arbeitszeitabsenkung),.
- und über Lohnersatzleistungen einen Beitrag zur Lebensstandardsicherung
realisiert.
Aber dies alles findet seine Grenzen, wenn nicht zugleich eine offensive
Beschäftigungspolitik betrieben wird.
Eckpunkte könnten sein:
Niedrigzinspolitik der EZB
Auflage von Investitionsprogrammen mit Beschäftigungswirkung
tarifliche Wochenarbeitszeitverkürzung
Stärkung der Massenkaufkraft durch überproportionale Lohnerhöhungen
und Rücknahme von Sozialkürzungen.
* Horst Schmitthenner ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der
Industriegewerkschaft Metall, Frankfurt/ M.