BürgerInnenvernetzung braucht Medienkompetenz

Von Rena Tangens

 

Information

"Es kommt das Zeitalter der Informationsgesellschaft." Dieser Satz wird oft wiederholt und kaum hinterfragt. Was aber ist Information? Die Deutungen unterscheiden sich: Zum Einen wird unter Information harte Handelsware verstanden, zum anderen wird sie als die Lösung aller Probleme angesehen.

Wichtig ist hier aber der Unterschied zwischen Daten und Information: Es reicht z.B. nicht aus, Zugriff auf eine Umweltdatenbank zu haben, wenn der Kontext fehlt (also z.B. das Wissen um Grenzwerte und ihre medizinische Bedeutung). Damit Information wirklich nutzbar wird, muß sich der oder die Einzelne zu der Information in Bezug setzen können. Daraus wiederum müssen Ansätze entstehen, gemeinsam zu handeln.

John Perry Barlow behauptet im Spiegel Special 3/97, der Hunger in der dritten Welt sei ein "Informationsproblem". Ob das noch naiv ist oder zynisch, ist nicht ganz klar: es dürfte mittlerweile allgemein bekannt sein, daß es sich nicht um ein Problem der Nahrungsmenge, sondern der Verteilung handelt. Dies ist bereits seit Jahrzehnten aus vielen Zeitungsartikel und Fernsehberichten bekannt. Aber es sind nicht allzuviele Menschen bereit, diese Information in Bezug zum eigenen Leben und Verhalten zu setzen, also z.B. Waren aus fairem Handel oder nachhaltiger Wirtschaft zu kaufen.

Es geht also nicht um "wenig" oder "viel" Information (das Schlagwort von den "information rich" und "information poor"), sondern um die Fähigkeit, damit umzugehen - also nicht nur um Wissen, sondern um Bildung. "Bildung ist, was übrigbleibt, wenn wir alles vergessen haben." (Edouard Herriot)

Menschen brauchen nicht mehr Information, Information gibt es schon jetzt (also auch ohne die computerbasierten Netze) im Übermaß. Menschen brauchen Mut, auszuwählen, sie brauchen Mut, der eigenen Wahrnehmung zu trauen und Vorstellungskraft, um eigene Ziele zu finden. Diese Fähigkeiten lernen sie nicht beim Abfragen einer Datenbank, sondern eher ungeplant im Dialog mit anderen Menschen. We die Vorstellungskraft hat, um eigene Ziele zu entwickeln, wird auch mit der Informationsflut des Internet zurechtkommen. Wer schon vorher nicht wußte, was er oder sie will, wird sich im Netz erst recht verlieren.

Daher bevorzugen wir statt des Begriffs "Informationsgesellschaft" die Vision einer "Kommunikationsgesellschaft".
 

Interaktion

"Wenn ich etwas anklicken kann, ist es dann interaktiv?"

WWW-Seiten der einfachsten Machart (der verbreitetsten Sorte) bieten keine Interaktivität, sondern lediglich Multiple Choice. Interaktivität bedeutet immer, das Gegenüber zu ändern, und zwar wirklich zu ändern. Die Erfahrung zeigt aber, daß je perfekter etwas designt ist, desto geringer die Neigung ist, etwas zu ändern oder andere Denkansätze auch nur zu erwägen.

Diskussionsforen bieten hierfür eine geeignetere Grundlage. Wenn Netze den selbstbestimmten Umgang der Menschen mit den Medien fördern sollen, müssen sie selbst emanzipatorisch sein. Ja-/Nein-Abstimmungen a la TED per Druck auf die Fernbedienung sind hierfür nicht geeignet - sie sind bestenfalls eine Willensbekundung. Echte Demokratie bedeutet dagegen immer Dialog.

(Am Rande: Mittlerweile müssen sich oftmals weniger die Leute rechtfertigen, die die Regeln der Gemeinschaft brechen, als die, die auf die Regeln hinweisen. ("Was geht’s dich an, du Arsch?") Eintreten für die Gemeinschaft erfordert in einer solchen Situation oftmals weniger Mut, als vielmehr Zivilcourage. Ein Beispiel dafür ist das Nicht-Einschreiten anderer Fahrgäste bei gewalttätigen Übergriffen auf Mitreisende in der S-Bahn (bis hin zur Vergewaltigung - wie kürzlich in Hamburg geschehen).
 

Medienkompetenz

Medienkompetenz ist zu einem wahren Modewort geworden, oft wird seine Bedeutung aber nicht richtig erfaßt. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Linguistik und wurde Anfang der 70er Jahre von Dieter Baacke in die Pädagogik übertragen. Medienkompetenz ist etwas anderes als Medienerziehung (wie der Begriff oft mißverstanden wird). Medienerziehung meint einen gezielten pädagogischen Akt, mit dem der "richtige Umgang" mit einem Medium vermittelt werden soll.

Der Begriff "Medienkompetenz" dagegen ist viel umfassender. Er setzt voraus, daß jeder Mensch über Sprachkompetenz, Ausdruckskompetenz und Kommunikationskompetenz verfügt. Kompetenz ist angeboren - sie muß aber entwickelt werden. Die politische Folgerung ist die, daß Menschen, die diese Kompetenz nicht zeigen, keine Gelegenheit hatten, sie auszubilden. Medienkompetenz ist ein Teil von Kommunikationskompetenz - nicht umgekehrt! Medienkompetenz hat vier wesentliche Aspekte:

1. Kenntnis: Ich muß die Angebote kennen, ich muß wissen, daß es Internet und MailBoxen gibt usw.

2. Anwendung: Ich muß mit diesen Medien umgehen können. Ich muß z.B. wissen, wie ich den Videorecorder einschalten kann oder im Netz mit Suchmaschinen umgehen können.

3. Kritikfähigkeit: Ich muß dazu in der Lage sein, das Medium kritisch zu beurteilen, zu beobachten, wie sich das Medium auswirkt und wie es mit anderen Medien und Bereichen verwoben ist.

4. Kreativität und Innovation: Ich muß dazu in der Lage sein, mich selbst innerhalb der Medien auszudrücken, sie mit zu gestalten.

Wenn heutzutage von "Medienkompetenz" die Rede ist, werden zumeist nur die ersten beiden Punkte angesprochen. Ohne die Fähigkeit zur Kritik und zur eigenen Innovation aber bleibt es bei der Einübung von bloßen Fertigkeiten zur Bedienung.

Die Vermittlung der Medienkompetenz kann keine Aufgabe der Schulen sein, sondern ist ein Prozeß des Austausches und des lebenslangen Lernens. Leider fehlen beispielsweise die Senioren fast völlig in den computerbasierten Netzen. Dabei könnte die Gesellschaft von ihrer Lebenserfahrung erheblich profitieren. Jeder Mensch ist kompetent -in einem Bereich, der seine Arbeit, sein Hobby, seine speziellen Interessen oder seinen Alltag betrifft.

Gerade die Netze, die jedem Teilnehmer einen ebenso breiten Rückkanal bieten, sind eine ideale Grundlage für dieses Vorgehen. Diese Struktur wäre auch eine ideale Grundlage, um Menschen an Entscheidungen zu beteiligen, die direkt davon betroffen sind. Beispiel: Radwege und öPNV-Verbindungen. Die Menschen, die diese entwerfen, scheinen die von ihnen entworfenen Einrichtungen praktisch nie selbst zu verwenden.

Noch mal: Menschen brauchen Mut, auszuwählen, sie brauchen Mut, der eigenen Wahrnehmung zu trauen und Vorstellungskraft, um eigene Ziele zu finden. Eben weil diese Fähigkeiten eher ungeplant im Dialog mit anderen Menschen erworben werden, ist es notwendig, dafür einen geeigneten, angenehmen und anregenden Rahmen zu schaffen, nicht nur virtuell, sondern ganz real vor Ort.

Die Netze können und sollen keinesfalls das persönliche Treffen ersetzen. Im Gespräch face-to-face lassen sich komplexe Fragestellungen mit vielen Beteiligten erheblich besser klären als per Mail. (Siehe CL-Treffen!)

Es gibt den Trend, die Wohnung kaum noch zu verlassen, sondern alles von zu Hause aus zu erledigen: Telearbeit, Electronic Banking, Filme sehen, spielen - auch die Pizza kann angeliefert werden. Als Gegengewicht braucht es öffentliche Orte, wo Menschen sich treffen können.
 

Fazit

Expertinnen und Experten werden von Seiten der Politik immer gefragt, wie wird die Technologie in 10 Jahren aussehen? Und was müssen z.B. Schüler/innen lernen, um in der Zukunft damit klarzukommen?

Die Antwort darauf ist: Die Frage ist falsch gestellt. Denn das hängt von uns und von Ihnen selbst ab. Die technische Entwicklung ist kein Naturereignis, nichts Unabwendbares. Sondern wir alle haben Handlungsfreiheit - wir sollten uns also zuerst überlegen, wie wir möchten, daß die Welt von morgen aussieht und dann können wir daran gehen, die Medien und die Technologie so zu gestalten, daß sie dies ermöglicht.

Kurz: wir wollen nicht Menschen der technischen Entwicklung anpassen, sondern wir wollen die Technik und die sonstigen Rahmenbedingungen so gestalten, daß sie unsere Vision der Welt von morgen ermöglichen und befördern. Wenn wir ein demokratisches Gemeinwesen wollen, dann müssen wir daran arbeiten, Verantwortung übernehmen und schon heute dafür die Weichen stellen.

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*Rena Tangens, Medienkünstlerin, Mitbetreiberin der Galerie "Art d´Ameublement" und des FoeBuD e.V.