Johannes Varwick

Die Erweiterung der EU und die Suche nach einer stabilen gesamteuropäischen Ordnung

 

In einer Phase unterschiedlicher Herausforderungen macht die EU im Laufe des Jahres 2004 nach einem Jahrzehnt Debatte Ernst mit einem der komplexesten und folgenreichsten Projekte ihrer Geschichte: der Erweiterung zunächst nach Mittelosteuropa, aber dann erklärtermaßen auch nach Südosteuropa. Die Erweiterung der EU ist aus ökonomischen, politischen und sicherheitspolitischen Gründen sinnvoll und notwendig, aber die Aufnahme von zunächst bis zu zwölf Staaten in den kommenden fünf Jahren wird alles andere als einfach. Sie wird zu einer existentiellen Herausforderung für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union und erhöht den Druck zu weitreichenden internen Reformen. Die im Zuge der Erweiterung auftretenden konzeptionellen und praktischen Probleme müssen notwendigerweise dazu führen, dass die Grundrichtung des gesamteuropäischen Einigungsprozesses breiter und tiefer als bisher diskutiert wird.

Zwei Problembereiche gilt es in diesem Zusammenhang stärker in das analytische Blickfeld zu nehmen. Zum einen stellt sich mit steigender Intensität die Frage, ob und wie sich der erreichte Integrationsstand innerhalb der EU, der acquis communautaire, in einer erweiterten Union mit 27 oder mehr Mitgliedstaaten und über einer halbe Milliarde Einwohnern halten und fortentwickeln lässt, oder ob angesichts der bevorstehenden Erweiterungsrunden nicht doch ein grundlegend neues Integrationsmodell erforderlich ist. Zum anderen - und eng damit zusammenhängend - ist stärker als bisher üblich über ein tragfähiges gesamteuropäisches Ordnungsmodell und die Rolle der EU in diesem Modell nachzudenken.

Mit der doppelten Herausforderung von Erweiterung und Vertiefung muss die EU unter Beweis stellen, ob sie sowohl den Interessen ihrer bisherigen Mitglieder, als auch den Erwartungen und Anforderungen von Außen gerecht werden kann. Dabei gilt es zu bedenken, dass die unterschiedlichen Interessenslagen innerhalb der EU eine komplexe und langwierige Entscheidungsfindung auch und gerade in Fragen der territorialen Ausdehnung geradezu zwangsläufig zur Folge haben. Diese unterschiedlichen Interessenlagen beziehen sich neben unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten und Affinitäten der bisherigen Mitglieder zum einen auf die differierenden politischen Denkschulen zwischen denjenigen, die Erweiterung aufgrund der damit intendierten Stabilisierung der jungen Demokratien als Priorität erachten, und denjenigen, die Vertiefung aufgrund von Kriterien wie interner Handlungsfähigkeit und Effizienz als vorrangig betrachten. Andere wiederum sehen Vertiefung als Vorbedingung bzw. zum Zweck der Erweiterung, während wieder andere ganz offensichtlich erweitern möchten, um eine Vertiefung zu verhindern. Dazu gesellt sich des weiteren die Debatte um die Gewinner und Verlierer einer Erweiterung dahingehend, dass weder das derzeitige System der Agrarpolitik noch der Struktur- und Regionalfonds ohne Einschnitte in nationale bzw. sektorale Besitzstände aufrechtzuerhalten wäre. Auch mehr als zehn Jahre nach dem Umbruch in Ostmittel- und Südosteuropa ist deshalb immer noch ungewiss, wie die zukünftige Gestalt Gesamteuropas aussehen wird: Europa bleibt eine Großbaustelle.

In Anbetracht dieser hier nur knapp angedeuteten komplexen und multidimensionalen Problemstruktur, die auf die enormen Schwierigkeiten einer weiteren Erweiterung im Sinne einer historischen Herausforderung hindeutet, sollte zunächst dreierlei betont werden: Erstens war und ist die EU kein geschlossenes Gebilde, sondern viel-mehr eine internationale Organisation, die sowohl ihre sektorale Zuständigkeit als auch ihre regionale Ausdehnung im Verlauf ihrer Geschichte sukzessive ausgedehnt hat. Bereits in der Präambel des EWG-Vertrags von 1957 erging die Aufforderung an die anderen Völker Europas, sich den Integrationsbestrebungen anzuschließen. Nach Art. 49 des Vertrags über die Europäische Union kann jeder demokratisch und rechtsstaatlich verfasste europäische Staat beantragen, Mitglied der EU zu werden.


Zweitens sind die nächsten Erweiterungsrunden vom Grundsatz her beschlossene Sache. Die Frage dreht sich ausschließlich um die freilich wichtigen - Zusätze "wann", "wie" und "wer". In den Schlussfolgerungen von Nizza weisen die Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Staaten auf die historische Bedeutung des Erweite-rungsprozesses hin und bekräftigen, dass sie dessen Erfolg politische Priorität beimessen. Zudem sind sie der Ansicht, dass die EU in der Lage sein wird, ab Ende 2002 neue Mitgliedstaaten aufzunehmen und es wird der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass sich die ersten Neumitglieder bereits an den Wahlen zum Europäischen Parlament im Sommer 2004 beteiligen können. Seitdem wurde dieser ehrgeizige Zeitplan auf mehreren Europäischen Ratstreffen bestätigt, aber auch darauf hingwiesen, dass die Kandidaten ihre Anstrengungen verstärken müssen, damit dieser Zeitplan eingehalten werden kann. Nach Abschluss der Verhandlungen wird bis zur Aufnahme der ersten Neumitglieder allerdings ein Zeitraum von rund 18 Monaten vergehen, der für den komplexen Ratifizierungsprozess der Beitrittsurkunden notwenig ist (so müssen die Parlamente aller beteiligten Staaten sowie das Europäische Parlament den Beitritten zustimmen).


Drittens wird insbesondere im deutschen Diskurs zunehmend darauf hingewiesen, dass nach einer Dekade des Transformationsstresses den Kandidaten ein weiteres Warten ohne negative Folgen nicht zugemutet werden könne. Die mittel- und osteuropäischen Reformstaaten haben seit 1990 enorme Anstrengungen unternommen, um ihre sozioökonomischen und politischen Systeme "europafähig" zu machen und sich auf die Zusagen verlassen, dass sie bei ausreichender Reformfähigkeit Mitglied der EU werden können. So geht inzwischen in außenpolitischen Zirkeln das Bonmot um, die Osterweiterung sei immer fünf Jahre entfernt. Dies habe 1990 ebenso gegolten wie 1995 und im Jahr 2002. Daher sei ein konkretes Datum erforderlich, um Druck auf die Verhandlungen auszuüben. Allerdings zeigen Umfragen in den bisherigen EU-Mitgliedstaaten, dass nur einen Minderheit für eine Erweiterung ist und auch bei den Bevölkerungen der Beitrittskandidaten ist eine stabile Mehrheit für die Beitrit-te nicht mehr gesichert.

Im Zusammenhang mit der Erweiterung ist es zudem notwendig, an einige Kernfunktionen des bisherigen europäischen Integrationsprozesses zu erinnern, die in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend weniger wahrgenommen werden. Die europäische Integration hat den beteiligten Staaten durch politische und ökonomische Verflechtung und der Bereitschaft zur Übertragung von Souveränitätsrechten strukturellen Frieden und Wohlstand gebracht. Sie war, so der deutsche Außenminister Joschka Fischer in seiner Berliner Rede vom Mai 2000, "phänomenal erfolgreich", hatte aber nur "einen entscheidenden Mangel, der durch die Geschichte erzwungen wurde. Es war nicht das ganze Europa, sondern ausschließlich dessen freier Teil im Westen". Warum also nicht dieses Modell möglichst breit und schnell exportieren und auf immer weitere Teile des Kontinents ausdehnen?

 

Erweiterungsstrategie im Wandel

Seit 1990 hat die EU den mittelosteuropäischen Reformstaaten mit dem Abschluss so genannten Europaabkommen eine Beitrittsperspektive zugesagt, es dauerte aber mehrere Jahre, bis die Verhandlungen eröffnet wurden. Neben den sechs Staaten der "ersten Welle", mit denen bereits seit dem Frühjahr 1998 konkret über einen Beitritt verhandelt wird (Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Estland, Zypern), hat die EU im Dezember 1999 beschlossen, zeitgleich Beitrittsverhandlungen mit den eben-falls sechs sogenannten pre-ins aufzunehmen (Lettland, Litauen, Slowakei, Bulga-rien, Rumänien, Malta). Seit Februar 2000 wird auch mit der zweiten Gruppe konkret verhandelt. Darüber hinaus erhielt die Türkei auf dem Gipfeltreffen in Helsinki vom Dezember 1999 den Status eines Beitrittskandidaten, konkrete Verhandlungen wer-den mit der Türkei jedoch erst nach der Erfüllung einiger Vorbedingungen aufge-nommen, die z.Z. nicht gegeben sind. Werden also alle Beitrittsversprechen erfüllt, würde die EU mindestens 28 Staaten umfassen. Dazu kommen noch fünf Staaten (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Jugoslawien, Kroatien, Mazedonien), denen im Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa eine Annäherung an die EU in Aussicht gestellt wird sowie die derzeit ruhenden Beitrittsgesuche Norwegens und der Schweiz. Die heute 13 Beitrittskandidaten dürften also nach herrschender politischer Logik nicht die letzten sein. Warum etwa soll einem demokratischen Kroatien das vorenthalten werden, was einem demokratischen Ungarn zugesagt wird: eine konkrete, an Bedingungen geknüpfte Beitrittsperspektive. Eine EU-35 ist demnach eine mögliche - wenngleich langfristige - Option. Hierbei sind interessierte Staaten wie Island, Moldawien, Weißrussland, die Ukraine oder aber Marokko, Algerien und Tu-nesien noch nicht einmal mitgedacht.

Die EU hat ein ganzes Set an Bedingungen aufgestellt, die erfüllt sein müssen, um Mitglied zu werden. Dies sind neben den zahlreichen Grundsatzbestimmungen aus den europäischen Verträgen insbesondere die sogenannten Kopenhagener-Kriterien, die vom Europäischen Rat im Juni 1993 festgelegt wurden und die seitdem wichtigster Referenzpunkt in der Erweiterungsdebatte sind. Jeder europäische Staat kann demnach Mitglied der EU werden, wenn Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Einhaltung der Menschenrechte sowie Minderheitenschutz gewährleistet, eine marktwirtschaftliche Ordnung und ausreichende Wettbewerbsfähigkeit in Bezug auf den gemeinsamen Markt gegeben sowie der gesamte acquis der EU einschließlich der politischen Zielvorstellungen in die jeweilige Rechtsordnung und das politische System übernommen ist und wenn schließlich die EU selbst eine Aufnahme institutionell und politisch verkraften kann. An einen Beitritt ist also erst dann zu denken, wenn ein assoziiertes Land in der Lage ist, den mit einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen nachzukommen und die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen zu erfüllen. Der gesamte acquis der EU ist für die Verhandlungen in 31 Kapitel aufgeteilt worden, die zeitgleich in intergouvernementalen Beitrittskonferenzen mit allen Beitrittskandidaten verhandelt werden. Dabei werden die einzelnen Kapitel getrennt behandelt und je nach Verhandlungsstand abgeschlossen oder es wird ein konkreter Nachbesserungsbedarf für ein Bewerberland festgestellt. Zu den schwierigsten Kapiteln zählen die Bereiche Landwirtschaft, Regional- und Strukturpolitik, Wettbewerbspolitik, Haushalt und freier Personenverkehr. Allerdings sind diese Gespräche keine Verhandlungen im klassischen Sinne, sondern stehen unter dem Imperativ der Über-nahme des acquis und dienen nicht in erster Linie der Suche nach einem Kompro-miss. Das schließt jedoch nicht aus, dass in begründeten Einzelfällen Übergangsfristen verhandelbar sind. So besteht etwa die deutsche Bundesregierung auf Übergangsfristen im Bereich der Freizügigkeit für Arbeitnehmer, die polnische Regierung strebt Ausnahmen im Bereich des Landerwerbs für EU-Bürger an. Die Kommission erstellt regelmäßig sogenannte "Fortschrittsberichte" , in denen die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien begutachtet wird und mit verschiedenen Instrumenten, u.a. den sogenannten "Beitrittspartnerschaften", wird eine Strategie der Heranführung an die Union verfolgt und auch erhebliche Finanzmittel aufgewendet.

Wenn man die Prämisse teilt, dass der Prozess der Transformation und der Demokratisierung in den betroffenen Staaten am Besten durch die Einbindung in europäische Strukturen befördert werden kann, so gilt es, sich verstärkt Gedanken über eine konsistente Strategie für alle an einem Beitritt interessierten Staaten zu machen. Dabei sind zwei Extrempositionen denkbar. Auf der einen Seite, eine Annäherung an den gemeinschaftlichen Besitzstand der EU innerhalb der EU zu erreichen (was frühe Mitgliedschaft mit langen Übergangsfristen bedeutete) und auf der anderen Seite eine Annäherung an den acquis außerhalb der EU anzustreben (was späte Mitgliedschaft und das Erfüllen aller Kriterien vor der Mitgliedschaft bedeuten würde). Wie im Detail ersichtlich wird, hat die EU ein umfangreiches und detailliertes Kriterienbündel entwickelt, das es zu erfüllen gilt, bevor eine Mitgliedschaft möglich ist. Dieses Kriterienbündel bezieht sich nicht nur - wie der wissenschaftliche Diskurs fälschlicherweise nahe legen mag - auf die Beitrittskandidaten, sondern auch auf die Frage der Integrationsfähigkeit der EU selbst. Die Mitgliedschaft in der EU ist also äußerst voraussetzungsreich. Die Schwierigkeiten der Kandidaten, mit denen bereits seit 1998 über einen Beitritt verhandelt wird, die Beitrittskriterien zu erfüllen, zeigen das deutlich auf. Dies hat zunächst wenig mit dem Grad des politischen Willens zur Erweite-rung seitens der EU zu tun, sondern ergibt sich aus der Komplexität des in gut 45 Jahren Integrationsgeschichte erreichten und erarbeiteten acquis. Des weiteren sollte bedacht werden, dass die institutionelle Konstitution der EU bzw. ihrer Vorläufer ursprünglich auf sechs Staaten und vor allem einen deutlich geringeren Aufgabenbereich als heute zugeschnitten war. Anders formuliert: Eine radikal erweiterte EU kann logischerweise weder gleiche Zuständigkeiten noch ein gleichbleibendes institutionelles Design haben.

Die Ratio des Erweiterungsprozesses hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach gewandelt und sich insbesondere mit dem bereits erwähnten EU-Gipfeltreffen in Helsinki vom Dezember 1999 verändert. Stand bis dahin das Konzept einer kriteriengesteuerten Erweiterung im Vordergrund, hat sich seitdem zunehmend eine Sichtweise verbreitet, die sich stärker an geostrategischen Gesichtspunkten orientiert. Insbesondere in Folge des Kosovo-Krieges vom Frühsommer 1999 hat sich die Erweiterungsdebatte qualitativ verändert, nachdem im Zuge des Stabilitätspaktes für Südosteuropa immer mehr Staaten eine Beitrittsperspektive eingeräumt wurde und der Präsident der EU-Kommission erklärte, es sei zum ersten Mal seit dem Fall des Römischen Reiches möglich, den gesamten Kontinent zu vereinigen. Damit wurde suggeriert, eine schnelle Mitgliedschaft aller europäischen Staaten sei denkbar. Es verwundert nicht, dass diese Erwartungen, die sich sicher nicht werden realisieren lassen, tatsächlich eingetreten sind. Langfristig wird dies zu heftigen Enttäuschungen führen, die auf die EU zurückschlagen werden. Dies wiederum könnte zum einen dazu führen, dass unter dem Druck der Ereignisse den Kopenhagener-Kriterien zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird und diese möglicherweise politisch interpretiert, d.h. aufgeweicht werden. In diesem Fall würden aber verständlicherweise die bisherigen Beitrittskandidaten protestieren, bei denen der Eindruck entstehen müsste, höhere Hürden für einen Beitritt zur EU überspringen zu müssen.

 

Konsequenzen für die gesamteuropäische Ordnung

Dabei sind die Argumente für eine umfassende Erweiterung der EU durchaus überzeugend. Neben allgemeinen moralischen Erwägungen, die in Richtung einer "Wiedervereinigung Europas" und einer Überwindung der "Teilung von Jalta" zielen, wird argumentiert, dass die Aufnahme der Beitrittskandidaten den Frieden in Gesamteuropa sichere und zur Verbreitung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit führe. Die Perspektive einer "Rückkehr nach Europa" unterstütze die erforderlichen Reformbe-mühungen auch im ökonomischen Bereich. Zudem werde mit der Erweiterung ein enormer Wachstumsschub einhergehen, von dem alte wie neue Mitglieder profitierten. Dem stehen aber auch Risiken gegenüber, die nicht grundsätzlich gegen eine Erweiterung sprechen (auch wenn dies von populistischen und buchhalterischen Skeptikern argumentativ verwendet werden kann), aber sich auf die Frage des "wie", also der Rahmenbedingungen einer Erweiterung, konzentrieren.

Eine Mitgliedschaft von nicht im Sinne der Kriterien qualifizierten Staaten würde den Charakter der EU fundamental wandeln. Es muss also darum gehen, vor der Erweiterung die heutige EU erweiterungsfähig zu machen und gleichzeitig über neue Integrationskonzepte nachzudenken. Die EU hat sich in eine strategische Falle manövriert, freilich ohne daran alleine Schuld zu sein. Die Falle besteht darin, zu viel versprochen zu haben, ohne sich selbst ändern zu wollen; plötzlich zu merken, dass es eine Illusion war, Vertiefung und Erweiterung parallel anzugehen, kurz: sich zwar radikal zu erweitern aber nicht radikal verändern zu wollen bzw. zu können. Ist Integration damit letztlich ein regionalistisches Konzept, das nur so lange praktikabel ist, wie ein gewisser Grenzwert eines sich vergrößernden Gebildes nicht überschritten wird? Funktioniert Integration nach dem EU-Modell nur so lange, wie es ein mehr oder weniger klar definiertes Außen und Innen gibt? Lässt sich in einer radikal erweiterten EU die friedensstiftende Funktion der europäischen Einigung aufrechterhalten oder bedeutet dies langfristig den Zerfall in eine gehobene Freihandelszone? Kann die EU das leisten, was von ihr erwartet wird oder handelt es sich um einen überforderten Stabilitätsanker, der Instabilität importiert statt Stabilität zu exportieren?

Hätten wir es eines Tages mit einer EU zu tun, die nicht nur um die zwölf Staaten erweitert wäre, mit denen heute verhandelt wird, sondern auch um die Türkei und weitere südosteuropäische Staaten, besteht die Gefahr, dass sich bereits überwunden geglaubte Wirrungen europäischer Geschichte wiederholen könnten. Bei dann zwangsläufig in ihrer Tiefe rückläufiger Integration träten Machtdifferenzen, die bislang in der EU integrativ bearbeitet wurden, erneut hervor. Allianzen und Gegenallianzen wären eine denkbare Folge. Das im Zuge des Kosovo-Krieges intensivierte Konzept der Beitrittsversprechungen in alle Richtungen ohne erkennbaren internen Reformwillen gibt also Anlass zu der Sorge, dass diese Entwicklung selbst zur Ursache neuer Instabilität wird. Der Beschluss von Helsinki zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit weiteren sechs Staaten im Dezember 1999 aus geostrategischen Gründen deutet schon in diese Richtung. Im Übrigen ist dieser Beschluss in mehrfacher Weise widersprüchlich. Zum einen wird der Eindruck erweckt, sechs zusätzliche Staaten hätten eine Beitrittsperspektive, zum anderen wird die Verhandlungsstrategie dahingehend abgeändert, als dass dem Leistungsprinzip der einzelnen Kandidaten mehr Beachtung geschenkt wird. So wurde die bis dahin verfolgte Gruppenstrategie durch die Startlinienstrategie abgelöst. Bei der Gruppenstrategie wurden zunächst die am fortgeschrittensten Länder in eine Gruppe selektiert, mit der dann konkret verhandelt wurde, während bei der Startlinienstrategie ohne Binnendifferenzierung zeitgleich mit allen Kandidaten verhandelt wird. Ein sinnvoller Beitrag zur gesamteuropäischen Stabilität kann aber nur gelingen, wenn sich die Europäische Union nicht überfordert.

In Bezug auf die EU ist zum einen zu folgern, dass eine erweiterte Union heterogener werden wird und damit die zentrifugalen Kräfte zwangsläufig zunehmen werden. Daraus folgt, dass die zentripetalen Brüsseler Gegengewichte gestärkt werden müssen, allerdings ohne die Mitgliedstaaten als "Herren der Verträge" zu entmachten (sie aber auch nicht als Vetomächte im Alltagsgeschäft zu stärken). Wenn die EU zum größten Erweiterungsschritt ihrer Geschichte antritt, dann wird es entscheidend darauf ankommen, dass die beiden Säulen Erweiterung und Vertiefung ihre Balance behalten. Allein als gehobener Binnenmarkt wird eine erweiterte EU kaum funktionieren. So wird von der Erweiterung ein starker Druck in Richtung auf weitere Vertiefung ausgehen. Auch hierfür ist in Fischers Berliner Rede zutreffendes nachzulesen. Wenn angesichts der Herausforderung der Osterweiterung, so Fischer, die Alternative für die EU Erosion oder Integration heißen würde und wenn das Verharren in einem Staatenverbund Stillstand mit all seinen negativen Folgen bedeuten würde, "dann wird, getrieben durch den Druck der Verhältnisse und der von ihnen ausgelösten Krisen, die EU innerhalb der nächsten Dekade irgendwann vor der Alternative stehen: Springt eine Mehrheit der Mitgliedstaaten in die volle Integration und einigt sich auf einen europäischen Verfassungsvertrag zur Gründung einer europäischen Föderation? Oder, wenn dies nicht geschieht, wird eine kleinere Gruppe von Mitgliedstaaten als Avantgarde diesen Weg vorausgehen".

Damit verabschieden sich denkbare und praktikable Ordnungsmodelle von der Vorstellung einer einheitlichen und gleichzeitigen Integration aller betroffenen Nationalstaaten. Bei aller Berechtigung dieser kritischen Fragen ist die wie auch immer geartete europäische Perspektive für die an einem Beitritt interessierten Staaten gleichwohl alternativlos. Die gebetsmühlenartige Zusage der EU an immer neue Kandidaten, "zurück nach Europa" gelassen zu werden (als ob Europa lediglich die EU sei), könnte nur um den Preis drastischer Verwerfungen zurückgenommen werden. In dieser strategischen Falle kann Vertiefung im Zuge der Erweiterung für die EU aber nur radikale konzeptionelle Veränderung heißen. Die glaubhafte Erweiterung der Union ist mithin nur zu dem Preis einer zunehmenden Differenzierung und Flexibilisierung des Integrationsprozesses zu haben. Mischformen der flexiblen Integration, die bis hin zu einem "Kerneuropa" von Staaten reichen mögen, die in der Lage und willens sind, die Entwicklung zu einer bundesstaatlichen Ordnung mit zu gestalten, dürften eine realistische Zukunftsperspektive sein. Allerdings hat sich die erste Gruppe von Beitrittskandidaten nicht unter großen Mühen auf die Mitgliedschaft vorbereitet, um dann als Vor- oder Hinterhof einer Kern-EU abserviert zu werden (siehe Punkt 6).

In Bezug auf die zukünftige gesamteuropäische Ordnung sollte deutlicher auf drei Aspekte hingewiesen werden. Erstens steht die Erweiterung für eine erste Gruppe von Staaten unmittelbar bevor. Um welche Staaten es sich handelt, ist noch nicht abschließend zu sagen und hängt von den Fortschritten bei den Beitrittsverhandlungen ab, vieles spricht jedoch dafür, dass 2004 oder 2005 eine relativ große Gruppe aus bis zu zehn Staaten dafür in Frage kommt. Das Fernziel einer EU-Mitgliedschaft für die Staaten, die nicht an der ersten Erweiterungsrunde teilnehmen werden, kann aber nicht ein Ziel an sich sein, sondern die an einem Beitritt interessierten Staaten müssen zunächst ihre eigenen Anstrengungen verstärken. Dass sie dabei europäische Unterstützung im Sinne einer aktiven Flankierungspolitik brauchen, dürfte e-benso selbstverständlich sein, wie im aufgeklärten Eigeninteresse der EU liegen. Dennoch bleibt die Erweiterung der EU in dieser Dekade und darüber hinaus das wichtigste politische Projekt Europas, das trotz aller Schwierigkeiten - wenn es rich-tig angelegt wird - enorme Chancen bietet. War das zentrale Motiv zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft aufgrund der Erfahrungen mit den gescheiteren Versu-chen rein nationalstaatlicher Handlungsansprüche die Sicherung des Friedens zwi-schen den westeuropäischen Staaten, so ist die Erweiterung der Weg, Frieden, Stabilität und Wohlstand für immer weitere Teile Europas und nicht mehr nur für Westeu-ropa zu sichern. Sie schafft einen gemeinsamen Stabilitätsraum von nahezu einer halben Milliarde Menschen und wird im Falle des Erfolges ein bedeutsamer Faktor für Stabilität und Wohlstand in Europa. Würde die EU diesen Stabilitätsexport grund-sätzlich verweigern, bestünde die Gefahr, Instabilität zu importieren. Die EU würde also vor der historischen Herausforderung versagen und langfristig den Frieden in Europa gefährden.

Zweitens ist Europa mehr als die EU. Integration innerhalb der EU ist eine Form der Zusammenarbeit sui generis, die sich trotz aller Beteuerungen nicht auf den gesamten Kontinent ausdehnen lässt. Die Erweiterung der EU ist damit ein Strukturproblem europäischer Politik. Gesamteuropa kann und wird kein monoinstitutionelles Gebilde sein, sondern vielmehr komplexe Strukturen aufweisen, die sich nicht zwangsläufig nach etablierten Denkmodellen werden abbilden lassen können. In jedem Fall ist die alleinige Fixierung auf die EU-Mitgliedschaft als vorrangiges außenpolitisches Ziel nahezu aller europäischen Staaten von Albanien bis Zypern zwar verständlich, jedoch zum Scheitern verurteilt. Die EU kann nicht alle europäiscntwortlich. Deshalb ist verstärkt über alternative gesamteuropäische Ordnungsstrukturen nachzudenken, die die EU nicht überfordern und dennoch Stabilität fördern. Eine wichtige Rolle könnte dabei dem Europarat (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat) zukommen, dem nahezu alle Staaten Europas angehören und der sein Potenzial in den Bereichen Demokratieförhen Staaten aufneh-men und nicht ganz Europa von Lissabon bis Wladiwostok umfassen, sie ist aber gleichwohl für ganz Europa mitverade-rung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte noch nicht ausgeschöpft hat. Auch Pläne für eine gesamteuropäische Freihandelszone könnten in diesem Rahmen und mit Unterstützung der EU vorangebracht werden. Wer also auf die EU als alleiniges europäisches Ordnungsmodell setzt, der geht ein hohes Risiko ein und überschätzt die Integrationsfähigkeit der EU.

Drittens wird es von herausragender strategischer Bedeutung sein, dass den Staaten, die auf absehbare Zeit keine Chance auf Mitgliedschaft haben werden, eine enge und faire Partnerschaft unterhalb der Schwelle einer Mitgliedschaft angeboten wird. Die zukünftigen Grenzen der Union dürfen also keine undurchlässigen Blockgrenzen sein. Insbesondere darf eine Erweiterung nicht dazu führen, dass die Verflechtung zwischen den Kandidaten der ersten und den darauffolgenden Runden abgebaut wird und somit neue Barrieren entstehen. Im Gegenteil: für eine Stabilisierung der außerhalb der EU verbleibenden Regionen sollte aktive Unterstützung geleistet werden.

 

Auf der Suche nach einem neuen Integrationsmodell: Die ungewisse Zukunft der EU

Die EU stellt kein "fertiges, quasistaatliches Gebilde dar, sondern einen Rahmen für die Wahrnehmung vielfältiger politischer Aufgaben, neben und in Ergänzung zu den Nationalstaaten. Struktur und Beschaffenheit dieses Verbund-Systems ist in kontinuierlicher dynamischer Entwicklung begriffen, ohne dass eine eindeutige Finalität identifiziert werden könnte. Das relative Gewicht der an diesem Verbund beteiligten Komponenten muss dabei immer wieder neu bestimmt und austariert werden". Dieser Prozess der Austarierung muss und wird sich in den kommenden Jahren vor dem Hintergrund wachsender Ansprüche an die EU vollziehen: Die politische Landkarte Europas hat sich in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert, aber erst mit einem wohl unvermeidbarem Zeitverzug beginnen sich die neuen Strukturen mitsamt ihren vielschichtigen Konsequenzen auch auf der kognitiven Landkarte der Europäer einzuprägen. Der alte Kontinent durchläuft fundamentale Transformationsprozesse in Mittel-, Ost- und Südosteuropa während gleichzeitig der Integrationsprozess in Westeuropa trotz veränderter weltpolitischer Konstellationen und gelegentlich stotternden Motors voranschreitet. Dies fällt zusammen mit einer grundlegenden Neubestimmung des transatlantischen Verhältnisses und damit der Rolle der USA in und für Europa. Insbesondere hat die EU als zentrale europäische Organisation darüber zu entscheiden, ob sie sich von einem kraftvollen ökonomischen Akteur mit gemeinsamer Währung zu einem ebenso kraftvollen politischen und sicherheitspolitischen Akteur wandeln will und kann. Die EU steht zudem vor der Entscheidung, ob sie sich hauptsächlich mit sich selbst beschäftigen will, oder aber ob sie bereit und in der Lage ist, friedenspolitische Stabilisierungsfunktionen für das internationale System auch über ihr eigenes Territorium hinaus zu übernehmen und mithin eine aktivere weltpolitische Rolle zu spielen. Die EU hat eine besondere Verantwortung für gesamteuropäische Stabilität. Stabilität geben kann aber nur, wer selber stabil ist. Sonst besteht tatsächlich die Gefahr, sich aus gut gemeinter Absicht (Stabilitätsexport) Probleme zu schaffen, die niemandem helfen würden (Instabilitätsimport). Zwar ist eine Erweiterung aufgrund unterschiedlicher Motiv- und Interessenlagen der bestimmenden Akteure sowie politischer Zwänge und der Erfordernis zum Kompromiss nicht nach dem politikwissenschaftlichen Lehrbuch erreichbar. Gewisse Erkenntnisse hinsichtlich der Funktions- und Handlungsfähigkeit einer erweiterten EU sollten aber nicht ignoriert werden. Denn gerade wer der Überzeugung ist, die europäische Integration ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft, der muss daran interessiert sein, dass die EU das bleibt, was sie für so viele an einem Beitritt interessierte Staaten interessant macht: eine handlungsfähige Gemeinschaft. Wie diese Handlungsfähigkeit erhalten oder sogar gestärkt werden könnte, wird derzeit kontrovers diskutiert.

Eine mögliche Antwort auf die zunehmende Heterogenität ist das bereits angesprochene Prinzip der verstärkten Zusammenarbeit. Es wird mithin stärker über eine zeitliche, sektorale, funktionale oder geografische Flexibilisierung der Integration nachgedacht. Daraus resultiert jedoch ein abermaliger Zuwachs an Komplexität der Entscheidungsprozesse, was zu verstärkten Akzeptanzproblemen in den nationalen Öffentlichkeiten führen dürfte (und dessen Folgewirkungen oftmals unterschätzt werden). Unterschiedlichste Modelle dieser Differenzierung werden diskutiert, von der Aufbauflexibilisierung (die nur für neue Projekte gelten soll) bis zur Bestandsflexibilisierung (die sich auf bereits vergemeinschaftete Politikfelder bezieht). Zwar ist flexible Integration weder ein Wundermittel, noch würde damit das europäische Rad neu erfunden. So sind bereits heute nur zwölf von 15 Staaten an der Währungsunion be-teiligt, nur zehn von 15 an die gegenseitige militärische Beistandsgarantie im Rahmen der WEU gebunden, nur 13 von 15 in den Schengen-Prozess (Titel IV EGV, d.h. Visa, Asyl und Einwanderungspolitik) involviert; Großbritannien und Dänemark haben sich zudem auf verschiedenen Feldern die Möglichkeit eines opting out zusichern lassen. Im Zuge der Erweiterung könnte die flexible Integration, für die allerdings auch im Nizza-Vertrag hohe Hürden vorgesehen sind, jedoch an Bedeutung zunehmen. Idealtypisch sind drei flexible Integrationsformen zu unterscheiden, die vor allem hinsichtlich der Punkte Kriterium, Entscheidung, Motiv und Methode differieren. Jedes der drei Modelle birgt Risiken in sich. Während bei dem Modell der Abgestuften Integration die Gefahr einer dauerhaften Spaltung der Union zwar gegeben ist, aber versucht wird, durch ein gemeinsames Ziel einen gemeinsamen Rahmen zu erhalten, wird bei den Modellen der Variablen Geometrie und der À la Carte-Konzeption dieses gemeinsame Integrationsziel aufgegeben und auch nach dem spezifischen Integrationswillen entschieden.

Nachdem aufgrund der Erfahrungen mit dem Amsterdamer Vertrag Einigkeit bestand, dass die bisherigen vertraglichen Regelungen ungeeignet waren, hat der Vertrag von Nizza neue rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen, von denen aber noch nicht zu prognostizieren ist, ob sie tatsächlich leichter zu handhaben sind. Die Regelungen orientieren sich tendenziell am Modell der abgestuften Integration. Für die Zulässigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit sind gemäß Art 40-44a EUV vier Rahmenbedingungen vorgesehen: Sie darf nur als letztes Mittel angewendet werden, muss prinzipiell allen Mitgliedern offen stehen, in den institutionellen EU-Rahmen eingebunden sein und schließlich eine Mindestteilnehmerzahl von acht Staaten umfassen. Die Auslösung der verstärkten Zusammenarbeit kann im Rat mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden. Damit sollen die Risiken der verstärkten Zusammenarbeit abgemildert werden.

Erklärung zur Zukunft der Europäischen Union vom Dezember 2001 hatten die Staats- und Regierungschefs einen Konvent einberufen, der Vorschläge zur zukünf-tigen Entwicklung der EU vorlegen soll. Grundlegende Erkenntnis ist, dass sich die Union wandeln muss, um sich auf die Herausforderungen der Zukunft einzustellen. Ein muddling through nach dem bisherigen Integrationsmodell ist erklärtermaßen an die Grenzen des Machbaren gestoßen. Auf der Agenda steht u.a. eine bessere Verteilung und Abgrenzung der Zuständigkeiten, eine Demokratisierung und Effizienzsteigerung der EU sowie die Frage nach den Bestandteilen einer künftigen europäischen Verfassung. Im Kern geht es dabei um die Frage, welcher Ebene künftig die zentralen Kompetenzen für die Gestaltung des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in Europa zukommen sollte. Es gehörte zu den Erfolgsgeheimnissen der europäischen Integration, dass die Mitgliedstaaten seit der Initialzün-dung der Montanunion im Jahr 1951 dieser Grundsatzfrage auswichen. Denn mit der Entscheidung für die Methode der sektoralen Teilintegration, die bei der Schaffung der EGKS Pate stand, erklärten sie sich zwar zur Übertragung nationaler Kompeten-zen in einem zunächst eng umgrenzten Bereich bereit, ließen aber die Frage der Zielperspektive der Integration bewusst offen. Auch in der Folge konzentrierten sich die Verträge statt dessen darauf, im Einzelnen anzugeben, für welche Bereiche die europäische Ebene eine Befugnis besitzt und nach welchen institutionellen Regeln Entscheidungen getroffen werden. Wenn dieser Frage nun nach Auffassung der Staats- und Regierungschefs nicht mehr ausgewichen werden kann und soll, dann bedeutet dies einerseits tatsächlich die Chance, EU-Europa zu vollenden. Anderseits entsteht dadurch ein enormes Konfliktpotential.

14 Jahre nach Ende des Ost-West-Konflikts scheint es nicht mehr völlig ausgeschlossen, dass die Geschichte ihren Rückwärtsgang einlegt und die EU das Schicksal von zahlreichen Verbünden - so unvergleichlich sie auch mit der EU sind - vom Habsburger zum Osmanischen bis hin zum Heiligen Römischen Reich ereilt: ein konfliktträchtiger Zerfall. Andererseits bleibt es eine blanke Notwendigkeit für Europa, sich weiter zu integrieren und tragfähige, gemeinsame Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft zu geben. Die schwierigen Debatten über die Zukunft der Integration stehen der EU erst noch bevor.

"Dr. Johannes Varwick ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr, Hamburg"

 

Die Zahlenangaben stammen aus: Europäische Kommission (Hrsg.), Eurobarometer. Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union, Bericht Nr. 54, Brüssel 2001, S. 80-86.
Joschka Fischer: Vom Staatenbund zur Föderation. Gedanken über die Finalität der europäischen Integration, in: Integration 23 (3/2000), S. 149-156, hier S. 150. Vollständige Argumentation bei Johannes Varwick: EU-Erweiterung: Stabilitätsexport oder Instabilitätsimport, in: Aus Politik und Zeitgeschichte o.J. (1-2/2002), S. 23-30.
Auf der Interseite der EU-Generaldirektion Erweiterung sind die aktuellen Fortschrittsberichte sowie Informationen zum Verhandlungsstand abrufbar (http://eu.int/comm/enlargement/index.htm).
Nachweis und ausführliche Argumentation bei Johannes Varwick: Die Europäische Union nach dem Kosovo-Krieg. Ein überforderter Stabilitätsanker?, in: Joachim Krause (Hrsg.), Kosovo. Hu-manitäre Intervention und kooperative Sicherheit in Europa, Opladen 2000, S. 185-200.
J. Fischer (Anm. ii), S. 155.
Siehe dazu Iris Kempe (Hrsg.), Beyond EU Enlargement. Volume I: The Agenda of Direct Neighbourhood for Eastern Europe und Wim van Meurs (Hrsg.), Beyond EU Enlargement Volume 2, The Agenda of Stabilisation for Southeastern Europe, Gütersloh 2001.
Rudolf Hrbek: Europäische Union, in: Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch internationale Politik, Opladen 82000, S. 89-108, hier S. 108.