Ästhetik - Ökologie, Natur - Kunst

Gedanken, Materialien, Fragestellungen

Von Bernd Wagner

In dem Maße, wie die Störung des gesellschaftlichen Naturverhältnisses nicht mehr zu ignorieren ist und sich in weltumspannenden ökologischen Krisen niederschlägt, wird in den verschiedenen Wissenschafts- und Produktionsbereichen zunehmend das jeweilige Naturverständnis thematisiert und zum Teil revidiert. Dies betrifft die Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften, in marginalen Ansätzen die praktischen Anwendungsdisziplinen wie Ingenieurwesen, Architektur oder Agrikultur und reicht bis zu allgemeinen Denk- und Erkenntnisformen. Dabei werden zum Teil ältere, in den Hintergrund gedrängte theoretische Ansätze wieder entdeckt und mit neuen Erkenntnissen verknüpft. Dies betrifft auch den Bereich der Ästhetik und der Kunst.

Für die Ästhetik läßt sich ähnliches konstatieren was Schmied-Kowarzik Anfang der 80er Jahre für die Philosophie feststellte, wenn er davon spricht, daß es sich jetzt rächt, »daß die Philosophie über anderthalb Jahrhunderte nur im Schlepptau der Naturwissenschaften über die Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr zu denken wagte«, um nun »die naturphilosophische Diskussion dort wieder aufzunehmen (sei), wo sie vor 180 Jahren liegengeblieben ist«. In Adornos nachgelassener Ästhetischer Theorie ist von der seit Schelling »verdrängten« Theorie des Naturschönen die Rede, die an einer »Wunde« rührt, »die das Kunstwerk, reines Artefakt, dem Naturwüchsigen schlägt«. Er spricht von »Verwüstung«, die durch die Verdrängung der Natur ästhetisch angerichtet sei und davon, daß »nirgends vielleicht das Ausdörren alles nicht vom Subjekt durchherrschten ... so eklatant (ist) wie in der Ästhetik«.

Dieser Ausschluß der Natur aus dem Gegenstandsbereich der Hauptströmungen der ästhetischen Theorien betrifft in erster Linie die Natur als »Umwelt«, als »anorganischer Leib des Menschen« (Marx) und nicht den Mensch als Teil der Natur, den menschlichen Körper. Von dieser handelt die Ästhetik auch noch als Theorie des Kunstschönen, wenn auch oft nur verschämt. Entstanden ist die Ästhetik ja gerade als Diskurs über den Körper. In Anlehnung an das griechische Wort aisthesis bezog sie sich in ihrer ursprünglichen Fassung bei Alexander Baumgarten auf den gesamten Bereich der Wahrnehmungen und Empfindungen des Menschen im Gegensatz zu seinem begrifflichen Denken. Die Entgegensetzung der sinnlichen zur rationalen Erkenntnis führt noch nicht zur Trennung von Kunst und Leben, wie in der späteren Engführung von Ästhetik auf Kunsttheorie, sondern zur Unterscheidung von Materiellem und Immateriellem, Dingen und Empfindungen.

In dem Maße, wie die Natur nur als das Tote, als Materie, als Objekt menschlicher Naturbeherrschung angesehen wurde, war sie auch im ursprünglich weiten Ästhetik-Verständnis nur Objekt ästhetischer Empfindungen ohne eine besondere eigene Subjektivität. Der Ausschluß der Natur aus dem Betrachtungsbereich der Ästhetik wurde, nachdem Kant noch von einem engen Zusammenhang von Kunst- und Naturschönem ausging und für Hegel das Naturschöne zwar dem Kunstschönen unterordnete, aber noch Gegenstand der Ästhetik war, gerade von jenem Philosophen vorangetrieben, der der Natur eine eigene Subjekthaftigkeit zugebilligt hatte. Während in Schellings Naturverständnis Natur nicht nur Produkt (natura naturata), sondern auch als Produktivität (natura naturans) und somit Natur Subjekt und Objekt zugleich war, bestand er in der Ästhetik auf einer konsequenten Trennung von Kunst und Natur. In seiner Schrift Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur (1807) hat er das Naturnachahmungsdiktum der Kunst entschiedener als andere zurückgewiesen und den ästhetischen Prozeß zu einer selbstätigen »natura naturans« erklärt. Für die idealistische Philosophie an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war die Subjektwerdung des Menschen durch die Negation seiner Naturgebundenheit bestimmt. Nach Hegel hilft Kunst dabei »die Naturbefangenheit des Menschen hinweg«zuheben, auch weil »die harte Rinde der Natur und gewöhnlichen Welt ... es dem Geist saurer (machen) zur Idee durchzudringen, als die Werke der Kunst.«

Diese »harte Rinde der Natur« war nach Hegel und Schelling lange Zeit aus der als Theorie der Kunst enggeführten Ästhetik ausgeklammert, allerdings nicht aus der Kunst selbst, wenn auch diese für diese Ausschließung zahlen mußte. Die Geschichte der ästhetischen Ideen und Theorien ist über eineinhalb Jahrhunderte von der Verdrängung der Naturbasis des Menschen und des Kunstschaffens geprägt, auch wenn es immer wieder, zum Teil wirkungsmächtige, Ausnahmen gab, wie etwa in Heideggers Kunstwerkverständnis.

Erst in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts treten vermehrt Theorien und Ansätze in den ästhetischen Diskussionen auf, die die Schönheit der Natur, das Naturschöne oder eine ökologische Ästhetik wieder in den Zusammenhang einbeziehen, aus dem es seit Hegel und Schelling ausgeschlossen ist. Gernot Böhmes »ökologische Naturästhetik« oder Martin Seels »Ästhetik der Natur« sind zwei der avanciertesten Versuche. Die zweite Auflage von Konrad Paul Liessmanns Philosophie der modernen Kunst von 1995 ist um zwei Kapitel erweitert worden, die »auf aktuelle Problemstellungen des ästhetischen Diskurses reagieren«. Eines dieser beiden Kapitel behandelt die »Rückkehr der Natur in die Kunst«.

Der Prozeß der Verdrängung der Natur aus der Ästhetik entspricht den allgemeinen Vorstellungen der modernen Gesellschaft als Ausgang des Menschen aus seiner Naturabhängigkeit. Dem gesellschaftlichen Verständnis von Natur als Last, Bedrängnis, Gefahr, als zu Überwindendes lag der reale Prozesse des Beherrschens und der Dienstbarmachung der Natur zugrunde, der eine andere Qualität hatte als das gesellschaftliche Naturverhältnis der vormodernen Zeit. Ausgehend von Descartes' Unterscheidung von res cogitans und res extensa war die Natur nur noch Materie und als solche wurden alle qualitative Bestimmungen der Dinge in quantitative verwandelt. Das mechanisch quantifizierende Umgehen mit der Natur sah in dieser nur noch ein beliebig verfügbares Objekt, das sich die Menschen nicht nur untertan machten, sondern mit dem sie solchen Raubbau trieben, daß dieser Zerstörungsprozeß »zugleich die Springquelle allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter«.

Dieser Prozeß des Zusammenwirkens von klassisch mechanischem Wissenschaftsverständnis, bewußtseinsdominiertem Menschenbild und objektivierend reduktionistischer Naturauffassung bei der industriellen Zerstörung der natürlichen Grundlagen des Lebens ist oft beschrieben und analysiert worden, zum Teil auch in kritischer Begleitung der laufenden Entwicklung in den letzten zwei Jahrhunderten und erst recht seit etwa zwei Jahrzehnten, als das Disaster dieser Denk- und Aneignungsformen für jeden mit den ökologischen Katastrophen offenkundig geworden ist. Dabei ist allerdings die Einbindung der künstlerischen und ästhetischen Entwicklung in diesem Zusammenhang von Denkformen und Naturverhältnis noch wenig untersucht und stellt sich widersprüchlich dar.

Wenn Horkheimer und Adorno in der Geschichte von Odysseus und den Sirenen nach der Trennung der Dichtung von der Wissenschaft sowie von Arbeit und Herrschaft auch Kunstgenuß und Handarbeit im »Abschied von der Vorwelt« auseinandertreten lassen, so haben die Getrennten ihr Verbindendes in der Unterdrückung der Natur. »Das Epos enthält bereits die richtige Theorie. Das Kulturgut steht zur kommandierten Arbeit in genauer Korrelation, und beide gründen im unentrinnbaren Zwang zur gesellschaftlichen Herrschaft über die Natur.« Kunst ist hier Teil des Herrschaftszusammenhangs über die Natur. Dabei ist die Herrschaft über die außermenschliche Natur verbunden mit der Leugnung der Natur im Menschen und diese doppelte Verleugnung ist der »Kern der zivilisatorischen Rationalität«.

Auf dem Hintergrund einer solchen fundamentalen Kritik der zivilisatorischen Herrschaft über die innere und äußere Natur, in dem die Kunst seit ihrem Entstehen und nicht erst durch die Kulturindustrie unentrinnbar eingebunden ist, wird erklärlich, wenn Adorno 25 Jahre später im »Naturschönen die Spur des Nichtidentischen an den Dingen im Bann universeller Identität« sieht. Dieses Vermögen ist bei Adorno allerdings auch der Kunst eigen. In ihrer Autonomie kann sie subversiv sein und dagegen opponiert, in dessen Bann sie geschlagen ist. Indem beide, Natur und Kunst, Ort der Erinnerung und der Utopie sein können, sind Kunst- und Naturschönes für ihn miteinander verschwistert. Kunst und Natur sind bei Adorno Gegenpol und stehen in einem Unterdrückungszusammenhang, wie sie beide gleichzeitig die Möglichkeit des Nichtidentischen enthalten, das sich den globalen Verwertungszusammenhängen entzieht. Falls ihnen dieser Entzug nicht gelingt, geht das Naturschöne, »im Zeitalter seines totalen Vermitteltseins in seine Fratze« über (S. 106) und die Kunst wird in der Kulturindustrie »entkunstet«.

Diese Ambivalenz des Zusammenhangs von Kunst und Natur zwischen Unterdrückungsverhältnis und gemeinsamer Opposition gegen die allgemeinen Verwertungsbedingungen bestimmt ihr Verhältnis zueinander. Natur bildet für die Kunst einerseits als Naturschönes den Maßstab der Kunst, wie es bis zur Moderne in dem aus der Antike stammenden Satz »ars imitatur naturam« nahezu normativ bestimmt war. Und sie stellt andererseits ein Sujet und Material für die Kunst dar. In diesem Spannungsfeld stehen Kunst und Natur.

Seit mit der Beginn der Moderne in der Renaissance der Mensch sich mit Sieben-Meilen-Stiefeln aus der Abhängigkeit der Natur löst, wird ihm die Natur schrittweise vom Partner oder Gegner zur Stimulanz für Empfindungen. Diese Aneignung der Natur für das Gefühl geht einher mit einer zunehmenden Entfremdung des Menschen von seinen natürlichen Grundlagen. Natur tritt dem Menschen, vor allem dem Stadtmenschen, zunehmend in der Kunst gegenüber, wird Gegenstand der Kunst und verändert dadurch ihren Charakter für den Menschen. Maler und Dichter prägen das Bild der Natur in der Neuzeit: »Nur die Dichter haben es gefühlt, was die Natur dem Menschen sein kann«, so Novalis.

Vom bloßen Hintergrund und Beiwerk in den religiösen Bildern, etwa den Paradiesgärtlein-Darstellungen, tritt Natur in der Landschaftsmalerei in den Vordergrund, wird zur »Ideallandschaft«, und für den Städter zum »Traum vom Land«. Durch die künstlerischen Werke wird das Bild der Natur geprägt. Kunst wird vom Abbild der Natur zu ihrem Vorbild. Mit der Industriealisierung im 19. Jahrhundert wird diese idealisierende ästhetische Betrachtung der Natur erst noch einmal verstärkt. Hand in Hand mit den nun in Massen auftretenden Sonntagsausflüglern und Sommerfrischlern, wird Natur zur trivialen Handelsware in Gestalt von billigen, beliebig reproduzierbaren Öldrucken. Parallel zur Verflachung der Landschaftskunst zum biligen Surrogat werden zunehmend die Menschen und die Gesellschaft selbst und ansatzweise auch die Auswirkungen des gesellschaftlichen Naturverhältnisses zum Gegenstand der Kunst, vor allem der bildenden Kunst.

Nach dem ursprünglich idealisierenden Verhältnis von Kunst zur Natur und dem späteren Bruch, für die die Entwicklung der Landschaftsabbildung beispielhaft steht, haben sich in den vergangenen Jahren neue Formen des Zusammenhangs von Kunst und Kultur herausgebildet. Die amerikanische land-art, nicht nur abseits der Museen und der großen Städte, sondern abseits nahezu jeglicher Zivilisation in den menschenleeren Wüstengegenden, die Kunst in der Landschaft mit künstlerischen Exponanten in landwirtschaftlich genutzten Räumen oder in natürlichen Freiflächen, künstlerische Natur-Enviroments am Rande oder in Großstädten als Stadtkritik sind Beispiele dieser veränderten Bezugnahme von Kunst auf Natur. Die verstärkte künstlerische Arbeit mit natürlichen Materialien und ihre Einbindung in den Kunstprozeß oder der Formverzicht zugunsten der Natur, wo ohne künstlerische Gestaltung sich selbst entäußerte Naturformen zu Kunstprodukten werden, sind andere Beispiele von Naturkunst, die »gleichermaßen eine Kritik der Wissenschaft wie eine Kritik des autonomen Kunstwerks der Moderne intendieren«.

Weitere Ansätze eines veränderten Kunst-Naturverständnisses in der Gegenwart stellen die Einbindung von Natur in die Stadtgestaltung in Form integrierter Kunst- und Landschaftsplanungen in urbanen Räumen dar. Hierzu gehören auch neue soziale, ökologische und künstlerische Projekte in aufgelassenen Industrie- und Gewerbebrachen, wie sie beispielsweise im Rahmen der IBA Berlin, der IBA Emscherpark oder des »Industriellen Gartenreiches« Dessau-Bitterfeld umgesetzt wurden und werden, oder die Einbindung von künstlerischen Aktivitäten in die Bundesgartenschauen in Dortmund und Stuttgart.

Wie eng der Raum zwischen verhübschender Einbindung der Natur in eine Oberflächenästhetisierung der Innenstädte und der Verbindung von künstlerischen und natürlichen Elementen als Kritik bestehender Rationalitätszusammenhänge ist, wird am Beispiel der Indoor-Outdoor-Plazzas in Manhattan, deutlich. Die Verschmelzung von High-tech, Natur und Kunst in den öffentlichen Plazzas in den neuen Hochhäusern von Manhattan mit den drei zentralen Faktoren kostbare Naturstoffe, Kunstwerke und Versatzstücke von Natur wie Wasser und Bäume, werden von Monika Wagner als zeitgenössisches Pendant gegenwärtiger Herrschaftsformen bezeichnet, wie es die reglementierten der Gärten für den französischen Absolutismus und die englischen Landschaftsparks für die Aufklärung waren. Kurzfristige Fluchtstätten vor dem Moloch Stadt und soziale Distinktion und Ausgrenzung sind die Funktion der Plazzas. Der Gegensatz von Kunst und Natur ist hierbei nivelliert, weil Natur hier technisch reproduziert wird und beide gleichermaßen durch ihre Anpassung an die Funktionalität der Architektur als Dekor und Design auftreten, die Harmonie und Akzeptanz verkörpern.

Die Nivellierung des Gegensatzes von Natur und Kunst und ihre gemeinsame Einbindung in die gegenwärtige Ästhetisierung der Innenstädte hat ihr geschichtliches Pendant in ihrem gemeinsamen Ausschluß aus dem städtischen Zusammenhang bei der Herausbildung der Städte in den letzten zwei Jahrhunderten. In seiner Darstellung von fünf Bausteinen des Leitbilds der modernen Stadt, hat Detlev Ipsen gezeigt, daß mit der Domestizierung, Verdrängung und Unsichtbarmachung der Natur in den Städten sich in einem parallelen Prozeß die Beziehung von technischem und ästhetischem Raum verändert haben. Die Vorbereitung des technischen Raums in der Phase der Machbarkeit, die ästhetische Verpackung des Raums als Ware im Bild vom luxuriös-urbanen Leben, das Auseinanderfallen von technischem und ästhetischem Raum ab Mitte des 19. Jahrhunderts bei der Unsichtbarmachung der Natur im Alltagsleben (Hygiene) und die Dominanz der funktionalen Räume unter dem Leitbild der Ordnung sowie das Bild von Massenkonsums und Bequemlichkeit, die keine ästhetischen Entsprechungen haben, sind die Stufen der Herausbildung der modernen Stadt. Hierbei wurden Natur und Ästhetik gleichermaßen aus dem Stadtbild vertrieben.

Das Spannungsverhältnis Kunst-Natur hat sich in den jeweiligen Zusammenhängen und Phasen höchst unterschiedlich dargestellt. Gegenwärtig ist in den verschiedenen Gegenstandsbereichen (etwa Kunst, Stadtgestaltung, Landschaftsplanung) eine engere Bezugnahme aufeinander erkennbar. Daß dies durch die Erfahrung der ökologischen Krisensituation mit hervorgebracht und forciert wurde, ist eine Binsenwahrheit. Zugespitzt steht etwa Meyer-Abich für eine Position, die den Bruch zwischen Natur und Kunst zum Kennzeichen der ökologischen Krise macht: »Die Umweltkrise der Industriegesellschaft ist ein Abgrund an Künstlichkeit zwischen Natur und Kunst. Je näher in einem Handlungsbereich Natur und Kunst beieinander sind, desto größer ist die Chance, den Abgrund zu überbrücken.«

Bei einer so avancierten Fassung des Zusammenhangs von gestörtem gesellschaftlichen Naturverhältnis mit dem Spannungsverhältnis Kunst und Natur ist es evident, Fragen der ökologischen Ästhetik und des Kunst-Natur-Zusammenhangs ins Zentrum gegenwärtiger Überlegungen zu stellen. Aber auch weniger explizit auf das Kunst-Natur-Verhältnis bezogene Einschätzungen der Ökologiekrise führen zu ähnlichen Fragestellungen. Wenn bei Ipsen das Leitbild der modernen Stadt nicht vertretbare ökologische Folgen nach sich zieht, erfordert die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen eine Änderung des Kulturmodells der modernen Stadt und damit auch des Verhältnisses von Natur und Kunst. Da die »ökologische Krise im Kern eine Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse ist« und Kunst und Kultur wesentliche Inhalte und Ausdrucksformen des gesellschaftlichen Lebens sind, ist eine Neuverortung des Zusammenhangs von Kunst und Natur notwendig.

In den bisherigen Ansätzen eines neuen Kunst-Natur-Zusammenhangs sowohl in den künstlerischen Prozessen wie in den theoretischen Reflexionen bleibt aber nach Ansicht von Gernot Böhme »die Natur merkwürdig abwesend«: »Die avantgardistische und futuristische Verachtung der Natur liegt weit hinter uns. Natur ist als Sujet längst in die Kunst zurückgekehrt. ... anklagend und fordernd präsentiert sie die umweltkritische Kunst, zeigend und artikulierend spürt ihr die land-art nach. Die Elementenkunst vermittelt ihre sinnliche Wiederaneignung, minimal-art und Materialkunst tasten sich über Klassifikation - Erden, Hölzer, Wachs, Pollen - zum reinen Dies-da vor. Auch in der Theorie wurde seit Adorno die Natur rehabilitiert. ... Doch bei alledem blieb die Natur merkwürdig abwesend. Die land-art unterscheidet sich nicht prinzipiell von der Haldenkunst. Die Elementenkunst kann ihre Verwandtschaft zur Sinnespädagogik Kückelhausscher Prägung nicht verleugnen, die naturale minimal-art bleibt meist nur ein zufälliges Botanisieren.«

Für Böhme sind die entscheidenden Fragen unbeantwortet:

»Warum erfährt der Mensch die Natur als schön, erhaben - und darüber hinaus: als heiter, melancholisch, als ernst, lieblich, grausig, licht?

Gibt es eine naturhistorische Basis für diese ästhetische Erfahrungen?

Was bedeutet die Präsenz von Naturformen, wo immer sich ein ästhetisches Bedürfnis regt?

Ist gar, wie schon Kant vermutet, das ästhetische Bedürfnis letztlich ein Bedürfnis nach Natur?

Und schließlich: Was an der Natur erfährt der Mensch ästhetisch, oder besser: als was erfährt er sie?

Gibt es eine besondere ästhetische Erkenntnis der Natur?« (S. 3)

Es lassen sich eine Reihe weiterer wichtiger Fragen in der Diskussion um eine ökologische Naturästhetik anschließen:

»Läßt sich in unserer Zeit, in der die letzten Naturräume längst der Zerstörung preisgegeben sind, noch von Natur reden? Oder gar vom Schönen der Natur?

Welche Kunst ist in der Lage, uns in ein Verhältnis zur Natur zu setzen, das nicht als Zugriff und Herstellung von Distanz erscheint, ein Verhältnis, in das uns die Technik versetzt hat, die - um mit Bloch zu sprechen - in der Natur steht ›wie eine Besatzungsarmee in Feindesland‹.«

Leiden nicht auch die avancierten »Versuche, das gespaltene Bewußtsein der Moderne zu überwinden und zurückzufinden zu einer Einheit der ästhetischen Wahrnehmung ... unter der nicht einholbaren Differenz, die zwischen der Schönheit der Welt und der Welt der schönen Dinge liegt«?

Welche Natur ist Gegenstand der ökologischen Ästhetik bei einer »Natur im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit« (G. Böhme), wo »natura naturans selbst zur natura naturata« wird (Liessmann)?

Verfallen nicht die Ansätze einer ökologischen Ästhetik der gleichen Kritik, die zu Recht gegen Teile der Ökologiebewegung mit dem Vorwurf der Naturalisierung der Politik und der Desozialisierung der Natur erhoben wurden?
Wie verhalten sich ein ökologisches Ästhetikverständnis, das ästhetische Wahrnehmung an den »Einklang mit dem Urmuster (Archetyp)« bindet zur »Autonomie der Kunst«?

Ist es nicht angebracht, wie Reinhard Knodt fragt, anstelle von ökologischer Ästhetik von einer ästhetischen Ökologie zu sprechen?

Gibt es, wie Martin Seel annonciert, einen Zusammenhang von Ästhetik und Ethik, nach dem Vorstellungen des guten Lebens aus der Natur gewonnen werden und Natur die ideale Verkörperung jener Erfahrungsbereiche ist, die menschliches Leben prägt?

Oder auf einer konkreteren Ebene:

Was kann eine ästhetisch-ökologische Kompetenz beinhalten (z.B. Kreislaufgedanken, Ausbildung von Sinnlichkeit und Widerstand gegen Desensibilisierung)?

Wie können ökologische Probleme sinnlich mit ästhetischen Mitteln erfahrbar gemacht werden und wie können ökologische Wahrnehmungsräume aussehen?

Kann eine ökologische Ästhetik die Wahrnehmung von Umweltproblemen fördern und Handlungsraum für eine ökologische Praxis eröffnen?

Mit G. Böhmes Bestimmung für eine »ökologische Naturästhetik« und Martin Seels »Ästhetik der Natur« liegen anspruchsvolle Ansätze zur Neudiskussion von Ökologie und Ästhetik vor. In den künstlerischen Produktionen gibt es eine Reihe von Projekten, die diesen Zusammenhang thematisieren und auf der Ebene der ökologisch-ästhetischen Bildung und der Sinneserfahrung gibt es ebenfalls eine Reihe von interessanten Ansätzen, an denen sich diese Fragen diskutieren lassen. Notwendig ist aber auch der Einbezug der Diskussion des gesellschaftlichen Naturverhältnisses, denn dadurch bestimmt sich das Naturverständnis. »Goethes naturwissenschaftliche Studien stehen im Zusammenhang seines Schrifttums an der Stelle, die bei geringeren Künstlern oft die Ästhetik einnimmt. Man kann diese Seite des Goetheschen Schaffens nur verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß er im Unterschied zu fast allen Intellektuellen dieser Epoche nie seinen Frieden mit dem ›schönen Schein‹ gemacht hat. Nicht die Ästhetik sondern die Naturanschauung versöhnte ihm Dichtung und Politik.«

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