Frankfurter Gespräch
EU-Beitritt der Türkei -Realismus oder Wunschdenken? |
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Donnerstag, 27.
März 2003, 19.00 Uhr |
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Nach jahrzehntelangem Status als eher virtuellem EU-Beitrittsantragsteller
scheint die Türkei nunmehr realistische Chancen zu haben, in die Europäische
Union aufgenommen zu werden. Die im Dezember 1999 auf dem EU-Gipfeltreffen in
Helsinki getroffene Entscheidung, ihr den Kandidatenstatus zu verleihen, dürfte
aber weniger mit einer gewandelten Einstellung zur Türkei als vielmehr
mit den damals herrschenden Umständen in der internationalen Politik (Stichwort:
Kosovo-Krieg) zu tun gehabt haben. Es war deshalb auch wenig überraschend,
dass das Thema EU-Beitritt der Türkei anschließend rasch wieder in
der Versenkung verschwand. Auch die Bundesregierung hat hier wenig Engagement
gezeigt. Umso überraschender wurde die Ankündigung Schröders
und Fischers vom vergangenen Jahr aufgenommen, der Türkei eine konkrete
Beitrittsperspektive geben zu wollen. Im Vorfeld des Kopenhagener EU-Gipfels
im vergangenen Dezember kam es folgerichtig zu erbitterten Auseinandersetzungen
- nicht nur - in der deutschen Öffentlichkeit. Elder statesmen (Helmut
Schmidt, Valéry Giscard d'Estaing) und elder historians (Hans-Ulrich
Wehler, Heinrich August Winkler) machten in ziemlich deutlichen Worten klar,
dass sie einen Beitritt der Türkei kategorisch ablehnen. Auch in der CDU/CSU
setzten sich die Türkei-Gegner durch - eine deutliche Kursänderung
zu Helmut Kohl - und fordern sogar, eine Volksbefragung zu diesem Thema durchzuführen.
Diese wenigen Hinweise zeigen, dass selbst innerhalb der politischen Lager eine
große Verunsicherung und Orientierungslosigkeit am Platze ist, wie am
besten mit der Türkei-Frage umzugehen sei.
Jenseits der Problematik der Einbettung der Türkei in die islamische Welt,
die unzweifelhaft nicht europäisch ist, ergeben sich somit zahlreiche Fragen
und Probleme:
- Kann man ein Land, in dem das Militär eine - vorsichtig ausgedrückt
- prominente Rolle in der Innenpolitik spielt, in einen sich als demokratisch
verstehenden Staatenbund ernsthaft aufnehmen wollen? Mit welchen Argumenten
sollten ähnlich strukturierte Länder noch kritisiert und sanktioniert
werden können? Und was könnte die Aufnahme solch eines Staates für
die demokratische Kultur in den anderen Mitgliedsstaaten bedeuten?
- Die Kosten für den Beitritt der Türkei dürften enorm hoch werden.
Schätzungen besagen, dass mit 20 Milliarden Euro pro Jahr an zusätzlichen
Kosten zu rechnen wäre. Hinzu kommt die enorme Rückständigkeit
der türkischen Wirtschaft. Während in Zypern das Pro-Kopf-Einkommen
bei 80% des EU-Durchschnitts liegt und Polen mit 40% die Hälfte davon erreicht,
schafft es die Türkei mit 22% gerade mal, auf die Hälfte des polnischen
Durchschnittes zu kommen. Wie soll angesichts dieser klaffenden Entwicklungsrückstände
eine Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa jemals zu erreichen sein?
Und was würde diese kosten bzw. woher sollen die Mittel dafür kommen?
- Ist es aber andererseits nicht wahr, dass Fortschritte in der Menschenrechtspolitik
in der Türkei in der jüngsten Vergangenheit erst erreicht wurden,
weil die konkrete Perspektive auf einen EU-Beitritt jetzt zum Greifen nahe scheint?
Wäre es verantwortbar, diese durchaus hoffnungsvolle Entwicklung durch
eine ablehnende Haltung wieder zum Erliegen zu bringen und damit möglicherweise
auch die Türkei zu destabilisieren?
- Widersprüche zwischen Verfassungsanspruch und -wirklichkeit gibt es nicht
nur in der Türkei. Zu fragen bleibt aber angesichts der schon erfolgten
und noch zu erfolgenden Verfassungsänderungen, wie und durch wen diese,
vor allem auf die menschenrechtliche Dimension zielenden Änderungen, umgesetzt
und kontrolliert werden sollen? Mit anderen Worten: Wie kann eine demokratische
Zivilgesellschaft in der Türkei entwickelt und stabilisiert werden?
Dr. Heinz Kramer
Leiter der Forschungsgruppe II: EU-Erweiterungsperspektiven,
Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) - Deutsches Institut für Internationale
Politik und Sicherheit, Berlin
Mitglied im Editorial Board der Zeitschrift "Turkish Studies"
Donnerstag, 27. März 2003
19.00 Uhr
Bürgertreff Bockenheim, Schwälmer Str. 28, Frankfurt am Main
Der Bürgertreff liegt im westlichen Stadtteil Bockenheim am Kurfürstenplatz.
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