Veranstaltungsreihe

 

Muslime in Deutschland und Europa
- neue Akteure in Kultur und Politik

Vorträge mit Diskussion

Eine Veranstaltungsreihe im Rahmen des Projekts

”Muslime und moderne Gesellschaften”

 




5. und 26. November 1999 
27. Januar und 18. Februar 2000
Frankfurt am Main

 

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Thema

Die Veranstaltungsreihe wird sich vom Herbst 1999 bis Sommer 2000 mit der Bedeutung islamischer Kräfte für Demokratie und Zivilgesellschaft in Deutschland und Europa sowie in ausgewählten den Mittelmeerländern – vor allem der Türkei und Marokko – beschäftigen.
Die Gestaltung des Zusammenlebens mit den Muslimen in Deutschland berührt einen besonders relevanten Aspekt des Problems einer gezielten Neugestaltung des Einwanderungslandes Deutschland: es geht um die Mechanismen und Regeln des Lebens in einer kulturell pluralen, rechtsstaatlichen Demokratie mit ihren wechselseitigen Verpflichtungen und Anforderungen gegenseitiger Anerkennung, also auch um Anforderungen, die sich daraus für die Mehrheitsgesellschaft ergeben. Die öffentliche Diskussion über den Islam und das Zusammenleben mit Muslimen (rund 2,7 Millionen in Deutschland, über 20 Millionen in Europa) ist keineswegs abgeschlossen, neue Ereignisse und neue Kontexte tragen zur ständigen Entwicklung der Diskussion bei, darüber hinaus verändern sich die Akteure und ihre Positionen. Die Bedeutung islamischer Kräfte innerhalb der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen um Rechtsstaat und Zivilgesellschaft in den mehrheitlich von Muslimen bewohnten Gesellschaften der Mittelmeerregion steht beispielhaft für die Entwicklung in der islamischen Welt. Dort findet vielfacht eine neue Auseinandersetzung über Aufklärung und Religion statt, eine „Zivilisierung wider Willen“ (Senghaas), die sich - wie einst im christlichen Europa - unter gesellschaftlichen Kämpfen vollzieht. Das Projekt wird zentral auch auf die verschiedenen Selbstverständnisse der Muslime vom Islam eingehen. Denn es gibt keinen idealtypischen Islam, sondern viele Interpretationen im Islam, die historisch und geographisch und in ihren inner-islamischen Referenzen variieren. Grundkenntnisse über die strukturierenden Basis-Argumentationen der verschiedenen Interpretationsrichtungen sind daher heutzutage unerläßlich - nicht zuletzt für das Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland.


Muslime als neue Akteure in Kultur und Politik

Eine kleine Minderheit sind Muslime in Deutschland längst nicht mehr. Aber selbst wo das Leben mit Muslimen im Alltag wie selbstverständlich geworden ist, vollzieht es sich eher nebeneinander als miteinander. Unsicherheiten und Vorurteile gibt es auf beiden Seiten Doch repräsentieren radikale islamische Gruppen genauso wenig "den" Islam, wie etwa DVU-Anhänger "die" Deutschen.

Für die Mehrheitsgesellschaft gehört zum Zusammenleben, sich auf Muslime als neue Akteure in Kultur und Politik einzustellen. Ohne eine Präsenz von Muslimen im öffentlichen Raum der Zivilgesellschaft werden Tendenzen zur Selbstisolierung etwa von Jugendlichen aus Migranten-Familien in neuen Ghettos geradezu gefördert. Doch die öffentliche Diskussion über den Islam und das Zusammenleben mit Muslimen fängt in Deutschland gerade erst an. Islam-Unterricht an staatlichen Schulen, Anerkennung der islamischen Religionsgemeinschaft bzw. Formung einer staatlich anerkannten Vertretung der Muslime sind Bespiele für aktuellen Gestaltungsbedarf. Um adäquate politische, soziale und rechtliche Maßnahmen gemeinsam mit Muslimen diskutieren und entwickeln zu können, müssen Grundkenntnisse über islamische Vorstellungen als dem Bezugssystem der Lebenspraxis und Wahrnehmung von Muslimen Teil des Allgemeinwissens werden.

Wir wenden uns mit dieser Veranstaltungsreihe vorrangig an Nicht-Muslime und laden sie ein, sich von dem Schlagwort "Islam" zu lösen bzw. dahinter eine Vielfalt von religiösen und kulturellen Verständnissen und Praktiken von Muslimen wahrzunehmen - mit verschiedenen gesellschaftspolitischen Positionen.

Dies meint zunächst die muslimischen Gemeinschaften in Deutschland, gilt aber erst recht bezüglich eines allgemeineren Islam - Verständnisses, wenn also die Ausprägungen in der langen Geschichte des Islam und seine Vielfalt in kulturell sehr unterschiedlichen Ländern mit zu berücksichtigen sind. Für Gläubige mag es einen "wahren" Islam geben, aber sie wissen, dass in der islamischen Welt viele Muslime andere Auffassungen vertreten. Für den Außenstehenden verbirgt die Annahme eines "wahren" Islam seine eigene Projektion bzw. Auswahl aus den vielen Interpretationen im Islam, die historisch und geographisch und in ihren inner-islamischen Argumentationsbezügen variieren.

 
    

Programm
 

 

Die Einzelveranstaltungen:

  Islam in Europa – neue Konstellationen, alte Wahrnehmungen

5. November 1999, 19.00 – 21.30 Uhr
Bürgertreff Gutleut, Rottweilerstr. 32, Frankfurt am Main

mit
Dr. Navid Kermani, Islamwissenschaftler und Publizist, Köln
Saliha Scheinhardt, Schriftstellerin, Frankfurt am Main
Jutta Ebeling, Dezernentin für Schule, Bildung und multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt am Main

2    Muslime in einer demokratischen Gesellschaft – gesellschaftspolitische 
Bedeutung verschiedener Islamverständnisse

26. November 1999, 19.00 – 21.30 Uhr
Bürgertreff Gutleut, Rottweilerstr. 32, Frankfurt am Main

mit
Prof. Dr. Angelika Hartmann, Direktorin des Instituts für Orientalistik an der Universität Gießen
Dr. Reiner Albert, Politologe und Historiker, Seminar für katholische Theologie an der Universität Mannheim

 

 

Zum Vortrag von Navid Kermani

Islam in Europa - neue Konstellationen, alte Wahrnehmungen

Der Islam ist heute die zweitgrößte Glaubens-gemeinschaft in Deutschland und in Europa. Wie jede Migrationswelle hat auch die Einwanderung von Muslimen - von Türken nach Deutschland oder etwa von Algeriern nach Frankreich - Ängste hervorgerufen und Fragen aufgeworfen. Eine besondere Bedeutung kam dabei ihrem Glauben zu, insbesondere in der deutschen Debatte.

Weil "der" Islam vielfach als nicht vereinbar mit der Moderne, der Aufklärung oder den Prinzipien des Grundgesetzes gilt, wird auch die Integration der Muslime in Deutschland für kompliziert oder gar unmöglich gehalten. Eine solche Grundeinstellung wurzelt in einer überholten, essentialistischen Wahrnehmung. Sie erkennt für die historischen Entwicklungen und die politischen Verhältnisse in der islamischen Weit und bei muslimischen Akteuren fast ausschließlich religiöse Motive und sucht bzw. erwartet für sämtliche Phänomene der Wirklichkeit eine Urbegründung im Koran.

Auf der anderen Seite haben Vorstellungen von multi-kultureller Romantik dafür gesorgt, daß Probleme oder Mißverständnisse, die durch die Immigration von Muslimen entstanden sind, oftmals nicht ausgesprochen und daher auch nicht diskutiert werden. In beiden Fällen wird die Realität anhand ideologischer Muster betrachtet

Der Vortrag plädiert für eine säkulare Betrachtungs-weise des Islams und geht auf die Schwierigkeiten und Perspektiven seiner Existenz in Europa ein.

  

Zum Vortrag von Angelika Hartmann

Unterschiedliche Islam-Verständnisse und ihre gesellschaftspolitische Relevanz

Der inner-islamische Diskurs ist gekennzeichnet sowohl von einer eigenen Kohärenz als auch von einer ausgeprägten Heterogenität in der Diskussion über die intellektuelle und spirituelle Auslegung des Korans als göttlicher Offenbarung. Innerhalb dieses breiten Diskussions- Spektrums findet man einerseits das Postulat, daß der Koran als Diktat Gottes ausschließlich buchstabengetreu zu verstehen sei und niemals abgeändert werden könne, ohne daß der Islam sich selbst in Frage stelle. Andere Muslime zeichnen das Bild eines wandelbaren Islam, in welchem der Koran immer wieder neu je nach historischer Konstellation durch Menschen interpretiert werden müsse.

Die Bedeutung solcher Grundeinstellungen für gesellschaftspolitische Vorstellungen zeigt sich etwa beim Verständnis des islamischen Rechts: so werden von einem Teil der Muslime das offenbarte Gesetz ("die Scharia") und dessen Auslegungen durch Rechtsgelehrte (ulama) als allgemein verbindlich gesetzt und für die heutigen muslimischen Gesellschaften als unumstößlich betrachtet. Andere nehmen "die Scharia" als mitbeeinflußt durch Sitten und Gebräuche wahr und reflektieren sie mit dem Bemühen, eine historisch-kritische Neu-Interpretation zu entwickeln.

Ziel des Vortrags ist es, in die innere Logik verschiedener Islam-Interpretationen einzuführen, deren Grundstrukturen zu verdeutlichen, und als Weichenstellungen für gesellschaftspolitische Folgerungen erkennbar werden zu lassen. Nach einer Klärung  zentraler Begriffe wie "Koran", "Scharia", "Konsens", "islamische Demokratie" und "neue Rechtsfindung" werden verschiedene Ansätze einer traditionellen bzw. reformerischen Islam-Interpretation (von traditionalistischen Scharia-Anhängern über islamistische Intellektuelle bis zu Säkularisten und historisch-kritisch denkenden Muslimen wie Mahmud Taha) exemplarisch dargestellt.

   

Informationen
 

Veranstaltungsort:

Haus Gutleut
Rottweiler Str. 32
60327 Frankfurt am Main

Nächste Station: Ffm.-Hauptbahnhof

Anfahrtsskizze


Infos bei:

Hessische Gesellschaft für Demokratie und Ökologie
Landesstiftung der Heinrich-Böll-Stiftung
Niddastr. 64
60329 Frankfurt am Main
Tel.: 069/ 23 10 90, FAX: 069/ 23 94 78
Email: info@hgdoe.de

 


Veranstalterinnen


Die Veranstaltungsreihe in Frankfurt wird in Kooperation mit dem Amt für multikulturelle 
Angelegenheiten der Stadt Frankfurt am Main und der Hessischen Stiftung für Friedens- und 
Konfliktforschung durchgeführt und im Jahre 2000 mit zwei weiteren Abendveranstaltungen und 
einer Konferenz in Frankfurt am Main fortgesetzt.
Das gesamte Bund-Länder-Projekt ist eine Kooperation der Hessischen Gesellschaft für 
Demokratie und Ökologie mit der Heinrich-Böll-Stiftung, der Petra Kelly-Stiftung (Bayern), der 
Stiftung Leben und Umwelt (Niedersachsen) und dem Bildungswerk Berlin der 
Heinrich-Böll-Stiftung.