Schmerzhafter Frieden in Bergkarabach

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Fast unbeachtet vom Rest der Welt, herrscht seit dem 27. September 2020 Krieg in Bergkarabach. Mit hohen Opferzahlen, Zehntausenden Geflüchteten und bestätigten Kriegsverbrechen, bedeutet dieser Krieg nicht nur eine neue Dimension in dem jahrzehntealten Konflikt, sondern eine humanitäre Katastrophe.

Die Region auf aserbaidschanischem Territorium ist mehrheitlich von Armenier*innen bewohnt. Für beide Seiten heiliges Land, besteht ein jahrhundertealter Gebietsanspruch für die eigene Bevölkerung. Je nach Lesart überwiegt das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf der armenischen Seite, während das Recht auf territoriale Integrität auf der aserbaidschanischen Seite beansprucht wird.

Nachdem Armenien der militärischen Übermacht von Aserbaidschan nichts mehr entgegensetzen konnte, wurde am 9. November zum 4. Mal eine Waffenruhe zwischen Armenien und Aserbaidschan ausgehandelt. Die damit verbundene Vereinbarung kommt einer Kapitulation Armeniens gleich, während Aserbaidschan die Ziele seiner Militäroffensive weitgehend erreicht hat: Die Rückeroberung aller seit 1994 von Armenien kontrollierten Nachbarregionen von Berg-Karabach und der für beide Seiten besonders bedeutenden Stadt Schuscha/i. Neben den beiden Kriegsparteien waren auch die Türkei und Russland als wichtige Akteure beteiligt, jedoch ist es Moskau gelungen, das Abkommen entscheidend zu beeinflussen.

Russland sendet erstmals „Friedenstruppen“ nach Bergkarabach und sichert sich damit militärische Kontrolle in Armenien sowie Einfluss auf die gesamte Region. Die Türkei, der politisch und militärisch unterstützende „Bruderstaat“ Aserbaidschans, wird nur eine untergeordnete Rolle in der Friedenssicherung einnehmen. Jedoch wird es einen Verbindungskorridor zwischen der aserbaidschanischen Enklave Nachitschevan und Aserbaidschan durch Armenien geben und damit eine direkte Verbindung zwischen der Türkei und Aserbaidschan. Auch wenn Moskau seine Dominanz in der Region gestärkt hat, hat sich nun auch die Türkei endgültig als relevanter Akteur im Südkaukasus etabliert.

Die Situation in Armenien ist instabil und die nächsten Wochen werden von einer politischen Krise begleitet sein. Die Furcht einer Vertreibung der armenischen Bevölkerung aus ganz Bergkarabach wächst, in den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob sich die Opposition mit der Vereinbarung arrangieren kann oder nationalistische Kräfte weiter an Aufwind in der armenischen Politik gewinnen. Die Zivilgesellschaft wird weiter unter Druck geraten.

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